Codephysik

Codephysik

Die heutige Physik beschreibt die Welt mit Mathematik; Formeln erklären Bewegung, Farben, den kühlen Wind am Abend. Formeln, die meisten zumindest, wandeln Zahlen in andere Zahlen um. Aus Weg und Zeit wird Geschwindigkeit, aus Messgrössen werden Vorhersagen. Die Physik kennt jede Menge Formeln, auch sperrige, nicht diskrete, sprunghafte, oder nur annäherungsweise berechenbare.

Aber: Warum immer Formeln, warum nicht Algorithmen? Das Verhalten zweier Teichen zueinander: Muss das mit einer Formel beschrieben sein, warum nicht besser mit einem Computerprogramm? Eine einfache Formel wäre natürlich elegant, rein, herleitbar, ableitbar. Aber: die heutigen Formeln sind doch schon lange nicht mehr schön, Feynman rechnen ist ein Krampf. Warum denn nicht gleich einen Algorithmus daraus machen, mit Schleifen und if und else und then?

Man stelle sich also vor: die Weltformel ein (wohl recht kleines) Computerprogramm: jedes Elementarteilchen eine Klasse, jedes existierende Ding eine Instanz davon, wechselwirkend über Funktionen. Dieses Computerprogramm beschreibt unsere Physik, berechnet, wie die Instanzen, Teilchen interagieren, sich gegenseitig ändern. Der schönste Code eines Elektrons gewinnt, aber nicht den Preis für ein Simulations-programmes, denn es simuliert nicht die Welt, nährt sich nicht den Formeln an, im Gegenteil: Der Code ist die Physik.

Das Interessanteste an dieser Idee: nur Instanzen von Elementar-Klassen existieren, keine äussere Struktur, nichts Globales, wirkliche und komplette Relativität, keine Gleichzeitigkeit, auch der Beobachter ist Teil des Codes. Die Messapparatur ist immer Teil des Programmes, zwingend. Alles ist Messung, kein aussenstehender Beobachter existiert, kein absoluter Raumbegriff, nur Wechselwirkung. Ein Teilchen hat keine x-, y-, z-Variable, kann sie nicht, denn: was würde diese Variable schon bedeuten? Wer würde sie setzen oder verifizieren können? Ein Teilchen kann „nur“ eine Methode bieten, die ihr Verhältnis zu anderen Teilchen angibt. Oder philosophischer gesagt: Alle Teilchen, das ganze Universum, SIND und WECHSELWIRKEN.

Jedem Skeptiker, gutem Physiker, sei gesagt: Stelle dir – in diesem Kontext – den Code eines Photons vor. 50, 60 Zeilen Code. Erklärend.

Anmerkungen und Nachtrag

Auch wenn die Physik in Code beschrieben ist, vereinfacht das die Simulation und Berechnung nicht zwingend: die Gleichzeitigkeit, mit der alles wechselwirkt, ist für einen klassischen Computer nicht einfach greifbar. Codephysik ist nicht eine Simulationsanleitung, es ist eine Physik.

„Ein Algorithmus mag ja alles recht gut beschreiben, aber die Wirklichkeit, die innere Logik, die Wahrheit, die Natur muss doch aber reiner sein!“ Das wäre schön, klar: aber auch die heutige mathematischen Beschreibung ist nur eine Hilfskonstruktion; normiert(er), aber sicher nicht die “Wahrheit“.

In Codephysik können – und als Tribut an uns Menschen – auch Messfunktionen definiert werden. Funktionen, die zwar keinen physikalischen Nutzen haben, aber, als Vereinfachung, einen aggregierten Zustand einer Instanz auslesen, z. B. dessen „Energie“. Diese Messgrössen könnten auch anders, korrekter bestimmt werden. Mit einer Messklasse und -instanz, die mit dem „Teilchen“ (Instanzen von Teilchenklassen) mittels den üblichen Funktionen interagiert, und es so „misst“.

Die Grösse „Zeit“ ist spannend: sicher gibt es keine absolute, globale oder Systemzeit in der Codephysik. Aber: ist es eine Instanzvariable? Oder braucht es sie gar nicht, ist sie ein Nebenprodukt, eine Konsequenz daraus, dass jede Interaktionsfunktion eine gewisse Verzögerung beinhaltet? Ist sie sozusagen der Langsamkeit der Welt geschuldet? Wenn man sich mit Codephysik beschäftigt, Funktionen schreibt, Experimente nachbildet, merkt man schnell wie irrational Zeit und Ort sind.

Das Nachstellen z. B. des Doppelspaltexperimentes in der Codephysik ist in zwei Varianten möglich: Entweder man beschreibt jedes Teilchen, jedes Atom der Quelle, der Spalteinrichtung und des Detektors. Oder man nutzt eine interessante Abwandlung, eine abstrakte Codephysik und beschreibt nur drei Elemente als Ganzes: Die Quelle, den Spalt und eine Messapparatur. Jedes Element hat seinen Code, also seine 1, 2 Funktionen, die beschreiben, wie es mit den anderen Elementen interagiert, die Messapparatur hat noch eine Messfunktion, die uns Menschen zeigt, was wie sehen wollen.

„Wir haben in dieser (abstrakten) Codephysik die Photonen weggelassen, dürfen wir das denn?“ Eine Antwort: „Sind sie sicher dass es Photonen gibt? Wenn ja: was macht sie so sicher?“

Christian Rusche, 2010