Dunkle Materie – eine Denksportaufgabe

Dunkle Materie –
eine Denksportaufgabe

Vergessen wir für kurze Zeit die Echte Physik, und gehen das Problem der dunklen Materie als Denksportaufgabe an. Wie in diesem Metier üblich, vereinfachen wir zuerst die Fragestellung: nur unsere Galaxie interessiert uns, und die scheint zu wenig sichtbare Materie zu haben, um sich so zu drehen, wie sie sich dreht. Sie ist zu leicht, zu dünn. Da wir ihr im Grossen nicht viel zutrauen, streichen wir die Quantenphysik – bei der dunklen Energie hat sie sich um 10100 verschätzt. Streichen wir diese Energie auch gleich, ebenso die Expansion des Raumes, ach was! das ganze Universum. Und alle neumodischen Teilchen, wie symmetrisch oder leicht oder scheu sie auch sein mögen. Es bleibt nur unsere Galaxie, die denken wir für immer konstant drehend und bestehend aus ganz normaler, heller Allerweltsmaterie – zudem eine Gravitationskraft. Ah, und ein bisschen Spass erlauben wir uns noch: Schwarze Löcher.

Bevor wir das Problem lösen, wollen wir es erst verstehen: wenn alles, was wir in unserer Galaxie sehen, das ist was es gibt, und wenn die Gravitationskraft – die unser Sonnensystem so wunderbar beschreibt – auch im Grossen stimmt, dürfte die Milchstrasse sich nicht so schnell drehen. Oder anders gesagt: damit sie sich so schnell drehen kann, wie sie es tun, reichen die Kräfte, die sie zusammenhalten nicht, braucht es andere Kräfte oder mehr Masse, eben „dunkle Materie“. Gemäss aktueller Theorien scheint diese einen dunklen, grossen Halo um die Milchstrasse zu bilden. Aber wir machen hier nicht Physik, wir lösen eine Denksportaufgabe, und mit den wenigen Freiheitsgraden die wir uns gegeben haben, bleiben uns nur wenige Lösungsansätze:

Die Gravitationskraft ist nicht so, wie wir sie uns denken

Dieser Gedanke ist nicht neu; anderseits scheint er immer daran zu scheitern, wie genau unser Sonnensystem sich an Newton hält, und wenn der beim Merkur nicht weiter weiss, an Einstein. Wir wollen uns also auch hier nicht zu viele Hoffnung machen, und uns im Wesentlichen an die beiden grossen Männer und deren Kraft halten.

Schwarze Löcher sind nicht so, wie wir denken

Einen Trumpf haben wie noch im Ärmel, die schwarzen Löcher! Vielleicht sind die ja viel häufiger, und überall um die Milchstrasse verteilt? Sie sind sehr dunkel, wir sehen sie nicht, und schwer sind sie bestimmt. Könnten sie die fehlende Materie sein? Viellicht gibt es auch kleine schwarze Löcher? So klein, dass sie bisher nicht aufgefallen sind? Vielleicht 10 Sonnenmassen schwer?

Man denkt, die Masse der Milchstrasse ist etwa 1400 Milliarden Sonnenmassen (davon mehr als die Hälfte dunkle Materie). Somit müssten in unserer Galaxie 100 Milliarden kleinen, dunklen, schwarzen Löchern versteckt sein. Denken wir uns die Milchstrasse als Würfel mit einer Seitenlänge von  100000 Lichtjahren, dann wäre der ganz voller Löcher, rund alle 2000 Lichtjahre eines. Nun ist das nächste bekannte schwarze Loch tatsächlich nur rund 3500 Lichtjahre von uns entfernt. Aber doch scheint es nicht sehr realistisch, dass wir so viele schwere Nachbarn in unsere Nähe, und in Sichtlinie zu anderen Galaxien, nicht sehen würden. Verwerfen wir auch diese Variante.

Die Gravitationskraft von schwarzen Löchern ist nicht so, wie wir denken

Wir haben uns entschieden, dass es nur wenige Schwarze Löcher gibt, sagen wir: ein sehr grosses in der Mitte! Viele Physiker unter unseren Lesern und bestimmt jeder Mathematiker werden über die frivole Art unserer Vereinfachungen spotten; aber wir sind hier nicht am Arbeitsplatz, wir sind im Bastelkeller! hier darf man sein.

Die Rotationsgeschwindigkeit der Milchstrasse ist etwa so:

rot        rot2

Dabei wird etwa ab 7000 Lichtjahren die konstante Rotationsgeschwindigkeit von vielleicht 200 Kilometer pro Sekunde erreicht. Übriges: Die Rotation hat mit den sichtbaren Spiralarmen wenig zu tun, die sind auch nicht fix und ein Thema für sich.

Wie müsste nun also dieses eine Schwarze Loch funktionieren, damit es alle unsere Sorgen löst? sich die Sterne schneller als erlaubt um dieses drehen? Und alle anderen Planeten und Sonnen sich normal anziehen dürften, nichts im Dunklen lauern müsste, alles wäre wie früher?! Es müsste einerseits schwach sein, und andererseits eine andere Abhängigkeit zur Distanz haben als üblich:

Abhängigkeit zur Distanz Damit die Rotationsgeschwindigkeit in etwa den Messungen entspricht, also konstant ist, müsste ein schwarzes Loch eine Kraft ausüben, die umgekehrt proportional zum Abstand ist, und etwa folgende Form hat: formelmit K gleich 2 · 10-27

(Im Gegensatz zur Gravitationskraft, die umgekehrt proportional zum Quadrat des Abstandes ist.) Allerdings: Ob die Kraft von der Masse abhängt, oder von anderen mystischeren Faktoren, wollen wir uns später noch ansehen.

Stärke Obwohl das schwarze Loch nur ein Hunderttausendstel der sichtbaren Masse der Milchstrasse versammelt, müsste diese neue Kraft nicht sehr stark sein: die Konstante K wäre um 16 Potenzen kleiner als die Gravitationskonstante G; die Kraft doch bei grossen Distanzen relevant gegenüber dieser.

Wie kann es nun sein, dass ein Schwarzes Loch Dinge anders anzieht als es normale Sterne tun? Ist diese Kraft zusätzlich, oder anstelle der Gravitationskraft? und warum gibt es sie? Das wissen wir alles nicht, aber wenn wie schon am Denken & Spinnen sind: Ein schwarzes Loch verschluckt Dinge, und damit auch Informationen. Ein moderner Gedanke, passend zu Snowden und Assange wäre: Information ist wie Energie, sie kann nicht aufgelöst werden, nur umgewandelt – und in einem Schwarzen Loch gesammelt werden, mit einer dazu passenden (Anziehungs-)Kraft. Das könnte die fehlende Feuerwand beim Hineinstürzen von Materie in ein schwarzen Loch erklären?

Eine abschliessend Bemerkung, und letzter Bezug zur realen Physik sei uns erlaubt: Letztes Jahr hat Akos Bogdan vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics gezeigt, dass es zwischen der „Dunklen Materie“ und der Grösse des Schwarzen Loches im Zentrum einer Galaxie ein unerklärlicher Zusammenhang gibt. Oder anders gesagt, je grösser das schwarze Loch, umso höher die Rotationsgeschwindigkeit. Andererseits hat 2011 Ralf Bender vom Max-Planck-Institut nachgewiesen, dass Galaxien mit einem kleinen Zentrum, und damit in der Regel keinem oder zumindest keinem grossen Schwarzen Loch in der Mitte, dennoch viel Dunkel Materie, also schnell rotierende Arme haben können. Wer wohl recht hat…?

Christian Rusche, 2015