Kleiner Unterschied
Eigentlich wollte ich mir abgewöhnen, über Dinge zu schreiben, von denen ich keine Ahnung habe, aber es ist schwierig… daher ein letztes Mal noch? dieses Mal über Geld.
Vor einiger Zeit wurden gewisse Euro-Zinsen faktisch negativ. (Wobei: ich vereinfache alles mögliche, immer als die Zinsen unter der Inflationsrate lagen, war es ähnlich.) Ob das nun sinnvoll ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen (siehe oben). Was mich aber überrascht hat, waren die Erklärungen der Zentralbanker: „Die Zinsen müssen runter, sie waren knapp über Null, jetzt sind sie halt unter Null.“ Ist deren Annahme, dass eine Reduktion von zum Beispiel 0.3% auf 0.1% das selbe ist, wie eine solche von 0.1% auf -0.1%? Weil es die gleiche Differenz ist? weil die Zahlen nahe beieinander liegen? Weil sie ähnlich aussehen?!
Für mich ist ein Zinssatz von 0.1% etwas fundamental anderes als einer von -0.1%. Ich denke, dieser Sprung ist kein kleiner, sondern ein Phasenübergang. Wie wenn Wasser zwar nur ein bisschen wärmer wird, aber verdampft.
Hat man 100 Taler Schulden bei real 0.1% Zinsen, wird man (ohne Zinseszinsen etc.) in 1000 Jahren 100 Taler Schuldzinsen bezahlt haben – und hat die Schuld immer noch. Bei -0.1% hat man nach 1000 Jahren insgesamt 100 Taler an Zinsen kassiert, ist seine Schuld damit los. Hat 100 Taler bekommen, damit eine Schwarzwäldertorte gekauft und Nippes und ist jetzt schuldenfrei. Fühlt sich für mich nicht gleich an…
Oder anders, extremer gesagt: Wenn man Geld bekommt, das man (wenn man lange genug wartet) nicht zurückzahlen muss: Warum soll man sich noch anstrengen? Warum soll man investieren? arbeiten, erfinden, gerissen sein? Was soll daran, also an negativen Zinsen, „ankurbelnd“ sein? Ist nicht „solvent sein, viel Schulden machen und warten“ die bessere Strategie bei diesem Szenario?
Ich übersehe natürlich alle ausgefeilten Strategien der Zentralbanker: Vielleicht sind negative Zinsen ein gutes Mittels um politische Ziele zu erreichen? bestimmt um eine Währung wenig attraktiv zu machen. Was weiss ich! Ich will einzig drauf hinweisen, dass Zahlen, die nahe beieinander liegen, deswegen noch lange nicht die gleichen Eigenschaften haben müssen, dass die wenigsten realen Prozesse stetig sind oder gar linear: für Wasser ist der Unterschied zwischen -0.1 und 0.1°C viel prägender, als der zwischen 40.4 und 40.6°C. 9.9kg Plutonium sind giftig, 10.1kg explodieren.
Christian Rusche, 2016