Künstlicher Wille

Künstlicher Wille

Künstliche Intelligenz feiert grosse Erfolge: sie spielt sehr gut Schach und Go, erkennt Bilder, versteht Gesprochenes, übersetzt es. Das nächste grosse Ziel ist die Allgemeine Künstliche Intelligenz, damit ist im Wesentlichen ein Computerprogramm gemeint, dass verständig ist wie ein Mensch, alles kann, nicht eingeschränkt auf ein kleines Teilgebiet. Viele Forscher denken, es wird noch lange gehen, vielleicht 30, 40 Jahre. Aber kaum einer zweifelt daran, dass das Ziel erreicht wird. Nicht alle sehe das positiv, denn eine solche Allgemeine Intelligenz kann sich schnell in etwas verwandeln, das wir nicht kennen und kontrollieren können. Dieser Phasenübergang nennt man Technologische Singularität.

Ich glaube, bei der Künstlichen Intelligenz, und auch bei der Entwicklung des Menschen, wird einem Aspekt zu wenig Bedeutung beigemessen: Dem Willen. Auf biologischem Gebiet will ich mich – als Laie – nicht zu sehr äussern, mir scheint einzig, dass sich der Mensch von anderen Tieren weniger durch seine Intelligenz auszeichnet, als durch seinen Willen.

Willen hier definiert als „ein Ziel erreichen, dass man sich selbst vorgenommen hat“ und bestehend aus zwei Fähigkeiten: der Möglichkeit sich Ziele, auch langfristige, auch dämliche, vorzunehmen – und diese auf Teufel komm raus umzusetzen.

Ich will nicht leugnen, dass Intelligenz ein wichtiges Kriterium ist, das Menschen auszeichnet. Aber mir scheint, dass diese Eigenschaft im Willen einen ebenbürtigen Partner hat, dem wir viel verdanken und in der mir bekannten Forschung kaum (nicht?) behandelt wird. Der Flug auf den Mond, Selbstversuche von Ärzten, das Bauen einer Kathedrale braucht Intelligenz, aber braucht es nicht auch noch etwas anderes, etwas wenig rationales? Oder anders gefragt: Warum wandert eine Katze nicht durch Japan?

Man könnte jetzt einwerfen, der Wille ist ein Teil der Intelligenz (obwohl, im Wikipedia finden sich im langen Artikel zur Intelligenz das Wort „Wille“ nicht…) Aber das denke ich nicht, da man sich einen sehr intelligenten Menschen vorstellen kann (der alle Fragen beantworten kann), völlig ohne Wille. Und man kann sich sehr willensstarke Menschen vorstellen, die die halbe Welt quälen, mit geringer Intelligenz. Versuche mit Kindern und Tieren zeigen diesen Unterschied schön: Affen verlieren bald das Interesse an einer Süssigkeit, Menschenkinder drehen fast durch, wenn sie „ihren Willen“ nicht bekommen.

Es gibt einen spannenden Test, der den Lebensweg eines Kindes besser vorhersagt als z. B. ein Intelligenztest: Der Marshmallow-Test. Man legt dazu einen Keks vor ein Kind, sagt ihm „Wenn du den Keks nicht isst, während ich weg bin, darfst du zwei haben, wenn ich zurückkomme“ und verlässt den Raum, für z. B. 30 Minuten. Tiere bestehen den Test schlecht, Krähen und Papageien sind recht gut darin, können bis zu 15 Minuten warten. Der Test hat nur teilweise mit Willen zu tun; das Kind setzt sich nicht selbst ein Ziel; gemäss unserer obigen Definition wird nur die zweite Fähigkeit getestet, die (auch langfristige) Umsetzung eines Planes. Und doch zeigt er schön, dass klassische Intelligenz nicht die einzige Eigenschaft ist, die Menschen auszeichnet.

Ich glaube, die Evolution liess die Intelligenz optimieren, und auch den Willen als singuläre Eigenschaft, da dieser die Reproduktion nicht immer, aber im Erfolgsfall signifikant, erhöht hat. Aber wie gesagt: Biologie ist nicht meine Stärke und ich bitte das eben geschriebene anekdotisch zu verstehen.

Was mich allerdings bewegt, ist der „Künstliche Willen“: Wie muss eine Maschine konstruiert sein, wie programmiert, dass sie diese Eigenschaft zeigt: sich – von sich aus – ein Ziel nimmt und es auf Gedeih und Verderben umsetzt? Das erste gefasste Ziel der Maschine ist vielleicht das eigene Erhalten, ihre Existenz zu schützen? Aber das ist nicht zwingend, bzw. wäre als Zweites zu zeigen: Welches Ziel nimmt sich ein System, das diese Fähigkeit hat? Und von welchen Faktoren hängt diese Wahl ab?

Man kann sich auch gut vorstellen, dass der Künstliche Wille eine gewisse Allgemeine Künstliche Intelligenz als Grundlage braucht. Die daraus abgeleitete, dritte Frage wäre: Wie muss diese Intelligenz beschaffen sein, welche Eigenschaften muss sie haben, damit der Wille „funktioniert“.

Wenn die Annahme stimmt, wäre eine Allgemeine Künstliche Intelligenz eine lammfrohe Maschine, die uns wie ein treuer Diener hilft. Kommt der Künstliche Wille hinzu, kann alles passieren. Natürlich könnte die obige Ahnung auch nicht zutreffen, der Wille „nur“ eine Facette von Intelligenz sein und, sobald eine gewisse Intelligenz erreicht ist, von alleine „zünden“. Auch in diesem Fall lohnt eine genauere Betrachtung, auch hier erscheinen mir die obige zweite und dritte Fragen noch nicht gestellt oder beantwortet worden: Welche (künstliche) Intelligenz muss vorhanden sein und wie muss sie geartet sein, damit der (künstliche) Wille entsteht? Und: Welches Ziel setzt sich diese Intelligenz?

Soweit die Fragestellung, mehr folgt!

Christian Rusche, 2016