Gerne locker

Bin gestern zum ersten Mal eine lange Etappe gewandert, bei schönem Wetter, 35 Kilometer. Ging recht gut. Da der Zielort nur über eine Schnellstrasse erreichbar war, bin ich die letzten 15 Kilometer mit dem Zug gefahren. Dafür zu Beginn der Etappe 15 Kilometer zu einem schönen Schrein gelaufen. War ein guter Tausch. Bei der letzten Wanderung habe ich mir solche Routenänderung nicht erlaubt, dieses Mal sehe ich das freier: Was bringt es, 25 Kilometer einer Schnellstrasse entlangzulaufen? Wobei: Heute habe ich eben das getan, war auch Ok.

Gestern habe ich in einem „Onsen Hotel“ übernachtet, ist wie ein Ryokan, nur grösser. Das Bad war gewaltig, mit 30 Waschplätzen, 6 Bädern, dazu hatte es diverse Restaurants (in Ryokans isst man meist im Zimmer). Alle waren fast schon hysterisch freundlich zu mir. Das schöne an diesen Hotels und Ryokans, man muss selbst nichts mitnehmen, an nichts denken. Bei der Ankunft geht man Baden, zieht sich einen Yukata (schlichter Kimono, alle Gäste haben den gleichen) und Hausschuhe an, damit geht man dann Essen oder im Park spazieren.

Heute morgen bin ich gemäss dem oben geschrieben mit Yukata in den grossen Frühstückssaal, da sitzen bestimmt 50 Gäste – und alle tragen „normale“ Kleider. Ich frage nach, ob es mit Yukata auch Ok ist, bekomme als Antwort: „大丈夫, ゆっくりどうぞ.“ Heisst: „Passt schon, Gerne locker nehmen.“ Diese drei Worte habe ich zumindest verstanden, die Antwort war um ein vielfaches länger, mit allen möglichen Höflichkeitsverzierungen. Das tönt beim Einchecken beispielsweise so: „Bitte erlauben Sie mir, Ihnen darzulegen, dass man es als üblich ansieht, wenn Ihr verehrter Namen auf dieses Papier gepinselt werden würde.“

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Wetterküche

Mein heutiges Etappenziel, Izumo, schreibt sich 出雲. Das erste Zeichen 出 symbolisiert ein Pflanze, die aus der Erde spriesst, und heisst Herauskommen, manchmal Ursprung, seltener auch Suppe, Brühe. Das zweite Zeichen 雲 steht für Wolke, oben Regen unten Dampf. Frei übersetzt: Wetterküche.

Und diese Stadt machte ihrem Namen alle Ehre: Von vorne Wind und Regen, von links die Gischt des Meeres, von rechts die der Lastwagen – und ich mittendrin in einer Pfütze. Zudem hat der Wetterbericht mir heute besseres Wetter versprochen, so war der Regenschutz ganz unten im Rucksack, und die Hoffnung auf Besserung erst aufgegeben, als es zu spät war. Habe dann meine Schlecht-Wetter-Kleider angezogen, und so war dann wirklich alles nass. Bin gespannt auf die Regenzeit im Juni…

Am Nachmittag war alles gut: die Strecke (Strasse auf einem Damm, mein Lieblingsweg, flach, ohne Verkehr und Tiere), das Mittagessen in meinem bevorzugten Schnell-Imbiss Sukiya, das Hotel (Businesshotel mit heissem Gemeinschaftsbad und Waschmaschine). Hier ist vielleicht ein Wort zu den Preisen in Japan angebracht: Das heutige Mittagessen hat mit Getränk 600 Yen (5.30 Franken) gekostet, das Hotel 6200 Yen (55 Franken). Beides von hoher Qualität, schön, zentral.

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Wasser

Hat geregnet heute, war schon nach einer Stunde komplett nass. Insgesamt waren es dann 5 Stunden. Im Zimmer habe ich aus einem Schrank, Verlängerungskabel und Fön eine Trockenkammer gebastelt. Am liebsten würde ich mich da auch reinsetzen…

Das Hotel heute hat ein Thermalbad, heisst hier Gesundheitsmeer; gross, überall mit Wassersprudel und -düsen, und voll Salzwasser. Konnte mir glücklicherweise eine Badehose mieten. In Japan wird vieles – in Hotels, Restaurants, überall – mit liebevollen Schildern erklärt. In diesem Bad gab es alleine in der Umkleide bestimmt ein halbes Duzend, war gar nicht so einfach die zu deuten:

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Bücher

Bin wieder ans Ende der Welt gereist (7 Stunden Zugfahrt), an den Ort, den ich vor einer Woche verlassen haben. Morgen geht es weiter.

Die Ausrüstung ist unverändert, einzig die Bücher habe ich ausgetauscht, bisher gelesene zurückgelassen: Geschichte Japans, Grundgesetz, Stolz und VorurteileÜber die Demokratie in Amerika, Erzählungen von TschechowDas Unbehagen in der Kultur von Freud und Cäsars Bürgerkrieg. Alles sehr empfehlenswert. Jetzt mit dabei sind Klassische deutsche KurzgeschichtenZhuangzi und Über den Umgang mit Menschen von Knigge.

Pause

Es regnet, gestern ging es gut, bin tropfnass und glücklich nach 6 Stunden wandern im schönen Yunotsu-Onsen, einem Ort mit heissen Quellen und vielen Gasthäusern, angekommen. Heute habe ich bereits nach 2 Stunden die Wanderung beenden müssen, der Regen war Ok, aber der Wind zu stark.

Morgen beginnt in Japan die Golden Week: Zwischen dem 29. April und 5. Mai liegen vier Feiertage. Und da in Japan alle Feiertage, die auf ein Wochenende fallen, am nächsten Werktag nachgeholt werden, hat Anfang Mai das ganze Land Urlaub und ist unterwegs. Ich werde die Zeit mit meiner Familie verbringen, erst in Okinawa (einer warmen Insel im Süden von Japan) und dann in Nara. Die Wanderung geht anschliessend weiter, in der Golden Week wären freie Hotels ohnehin kaum zu finden.

Zeit für einen kleinen Rückblick: Alles war gut. Jedes einzelne Essen und jede Unterkunft. Jeder freundlich. Gelaufen bin ich rund 210 Kilometer, 3 Etappen musste ich aussetzen oder frühzeitig abbrechen (Füsse, Hundebiss, Wetter) – ich werde mein „Wanderkarma“ also noch etwas auffüllen müssen.

Flow (2)

War heute noch in einem winzig kleinen Isakaya (居酒屋, sehr frei übersetzt Essen-Trinken-Spass). Alle sehr nett, habe die Karte nicht verstanden, dann gefragt, was Osusume (おすすめ, Empfehlung des Hauses) sei. Die Antwort habe ich auch nicht verstanden, und – gemäss dem Motto des heutigen Tages – bestellt.

Es war dann ein Fisch, den man teils roh, teils frittiert, komplett essen konnte. Hat sehr gut geschmeckt, überraschenderweise auch der Kopf. Es war auch anschliessend noch sehr nett, erstaunlich wie gut wir uns verstanden haben. Wie immer ohne Englisch; das hat (mit einer Ausnahme, eine Managerin eines kleinen Hotels, die auch im Ausland lebte) bisher niemand mit mir gesprochen.

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Flow

Erlebe schöne Tage: Die Wegen sind gut, muss einzig manchmal einen Tunnel oder eine gefährliche Stelle umlaufen, und so geht es etwas im Zick-zack. Heute hat mich ein Mann in seinem Lastwägelchen ein paar hundert Meter mitgenommen – es waren eigentlich nur drei, vier Kurven, aber unüberwindlich, sehr eng, schlicht kein Platz zum Laufen und dazu stark befahren. Für solche Gelegenheiten habe ich Postkarten aus der Schweiz dabei, die ich als Aufmerksamkeit geben kann. Oft bekomme ich etwas zurück, so scheint es in Japan Brauch: Kekse, etwas zu Trinken, eine Tomate.

Gestern war die Strecke etwas über 20 Kilometer; heute am Zielort war ich noch fit, und habe nochmals 10 Kilometer drangehängt, am Ende waren es dann 30 Kilometer. Bin im Fluss, alles fügt sich.

Die Stadt hier, Hamada, gepflegt, mit grossem Hafen und schönen Stränden, hat einen passenden Namen. Sie schreibt sich 浜田. Das zweite Zeichen steht unverkennbar für (Reis-)feld. Das Erste (浜, hama, Strand) besteht wiederum aus zwei Teilen, links zusammengequetschtes Wasser (氵, normal sieht es so aus: 水). Und rechts 兵, Krieger, oben Axt unten Beine. Mm, passt nicht so recht, oder? Ja, das 兵 sieht zwar aus wie das Zeichen für Krieger, ist aber eine vereinfachte Schreibweise von 賓 = Ehrengast.

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Hunde, die bellen, beissen

Auf einige Dinge könnte ich gerne verzichten: Wurde heute früh auf einer Nebenstrasse von drei Hunden verfolgt und auch gebissen. Nichts schlimmes, mehr Kratzer am Knöchel. Junko hat dann geholfen, und die Besitzerin des gestrigen Gasthauses, Danke! Zur Sicherheit war ich im Spital, alles Ok: In Japan gibt es keine Tollwut, und gegen alles andere sollte ich geimpft sein. Das Spital lag im heutigen Zielort, bin gleich da geblieben; Wunden lecken.

Alt und Neu

Gestern war Ruhetag in Hagi, habe da neue Schuhe gekauft, das bequemste Paar ausgesucht. Die sehen jetzt aus wie sie viele Senioren auf der ganzen Welt tragen. Die wissen was gut ist!

Mit denen ging es heute weiter. Etwas mehr als 25 Kilometer, es hat geregnet. Die Gegend hier ist einsam, einmal habe ich rund 3 Stunden, ausser einer Schlange, nichts und niemand gesehen; es hat Häuser und kleine Dörfer, aber man sieht selten Menschen, keine Läden oder gar Schulen. Ein Zug (er hat einen Wagen) fährt ein paar Mal am Tag, darin sitzen aber kaum Passagiere und die Bahnhöfe sind nicht besetzt oder in Stand gehalten. Es gibt Ausnahmen, klar, das Minshuku in dem ich heute untergekommen bin, ist ganz neu, sehr aufmerksam geführt und eingerichtet. Das WC (bzw. dessen Deckel) verbeugt sich wenn man den Raum betritt! Aber ein so neues Haus habe ich heute kein zweites Mal gesehen.

Zum Abendessen gab es viel frischen (Tinten-)fisch, gleich vor dem Haus geangelt. So frisch, dass er sich noch bewegt und die Haut ständig die Farbe gewechselt hat.

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Video des Abendessens