Neutrinos und das teleologische Prinzip

Neutrinos und das teleologische Prinzip

Drei Arten von scheuen, ganz leichten Teilchen, die fast alles überwinden, Planeten gar. Und die während ihres Fluges langsam, vielleicht alle hundert oder tausend Kilometer, ihre Art ändern, von einer zur anderen oszillieren: Neutrinos.

Heute ist das Erkennen jedes einzelnen Neutrino ein Kraftakt, aber – wie oft in der Physik – können wir das vielleicht bald besser: Was wäre, wenn man die Neutrinos genau und mit ihrem ganzen Energiespektrum messen könnte? Und mehr noch, auch dreidimensional? Also nicht nur an einem Punkt oder in einer Ebene (wie es ein übliches Teleskop tut), sondern in einem kompletten Würfel mit einer Seitenlänge von eben tausend Kilometer. Vielleicht weniger mit einem Teleskop im herkömmlichen Sinne, sondern einer Ansammlung von Satelliten, oder mit verteilten Instrumenten auf der Erde und unter Ausnutzung ihrer Bewegung im Raum, um eine räumliche Messung aufzuspannen.

Eine solche Messung würde die Richtung einer Quelle bestimmbar machen: Man misst irgendwo ein Maxima einer Neutrino-Art mit einer Energie, und das gleiche Maxima wieder x-tausend Kilometer „dahinter“. Dazwischen hat sich einmal die Art geändert (der Abstand der Transformation wird wohl einzig durch die Energie bestimmt). So weiss man woher der Neutrinoschauer kommt, denn alle anderen Punkte in diesem Abstand aber einer anderen Richtung zeigen dieses Maxima nicht. Mit viel Mathematik, oder ein wenig Simulation, lässt sich aus dem Ergebnis dieses räumlichen Neutrino-Teleskop, etwa dem Verhältnis der Arten zueinander, viel über eine Neutrinoquelle sagen.

Mit all diesen Eigenschaften: Wären Neutrinos nicht eine präferierte Art der Kommunikation zwischen weit entfernten Zivilisationen? Die alles durchdringen kann, und die Richtung „enthält“. Und mit cleveren Methoden, durch Senden verschiedener Neutrino-Arten, auch eine Art „Fehlerkorrektur“ mitbringt, zur Übermittlung eines informativen Signals.

Und, zweite Frage: Müssen wir das anthropische Prinzip nicht auf die Zukunft erweitern? Dass die Neutrinos in der Grössenordnung von 1000 km oszillieren scheint ein glücklicher Zufall zu sein; gut, dass wir in diesem Universum leben, oder? Wären es 1 nm oder 1 Mrd. Kilometer, wäre unser Neutrino-Teleskop wohl nicht möglich. Aber diese Eigenschaft der Neutrinos, die Möglichkeit eines solchen Teleskops, ist nicht etwas, was uns Menschen hierher gebracht hat, es ist – bisher – für unser „bewusstseinsfähiges Lebem“ nicht nötig gewesen. Warum aber hat diese Teilcheneigenschaft einen so praktischen Wert in unserer Welt?

Drei Möglichkeiten:

  1. Langweilig: Wäre der Wert ein anderen, würden für unser Bestehen wichtige physikalische Prozesse, z. B. in der Sonne, anders und für uns ungünstiger ablaufen.
  2. Hypothetisch, und zudem wenig relevant: Diese Eigenschaft war nötig, damit es uns gibt: „Aliens“ haben so kommuniziert, damit sie wussten, wohin sie ihre Raumschiffe mit Leben schicken sollten oder so.
  3. Noch hypothetischer, und sehr interessant: Von all den Multiversen leben wir nicht nur genau in dem Universum, dass uns hervorgebracht hat, also die Voraussetzung, die Naturkonstanten, die Physik biete, damit es uns geben kann. Sondern – zusätzlich – auch noch etwas vorhat, das uns (oder Anderen) Eigenschaften an die Hand gibt (z. B. eben das Oszillationsverhalten von Neutrinos), die nötig sind, ein Ziel zu erreichen.

Das „anthropische Prinzip“ wäre in diesem Fall umzuformulieren zu einem „teleologischen Prinzip“: Wir leben in einem Universum, mit den Naturkonstanten, die es uns nicht nur erlaubt haben zu entstehen, sondern auch etwas zu erreichen. Dieses „Etwas“ ist die Quintessenz, unsere Bestimmung, bzw. die des Universums. Können wir sie aus den bekannten Naturkonstanten ableiten, oder zumindest erahnen? Etwa, weit gedacht, haben diese Parameter genau so zu sein, dass sich am Ende der Zeit, das Universum neu erschaffen kann. Oder etwas kleiner gedacht, wir Kontakt zu anderen Zivilisationen herstellen können.

Um auf die Neutrinons zurückzukommen: Wann immer wir mit unserem Neutrino-Teleskop ein intelligentes Signal von einer entfernten Zivilisation finden, sollten wir uns fragen: Warum oszillieren die Neutrinos um Himmels Willen genau alle paar tausend Kilometer? In einer Grössenordnung, die wir handhaben können und diese Kommunikation erlaubt? Und, hehe, warum ist schnell fliegen so mühsam, so energieintensiv? Will „das Universum“, dass wir zuerst miteinander reden, bevor wir uns treffen und verprügeln?

Christian Rusche, 2023