Vorworte
Vor vier Jahren durfte ich, von Norden nach Süden, durch Japan wandern. Dieses Jahr will ich es wieder versuchen, von Süden nach Norden, auf der gegenüberliegenden Küstenroute. Die Strecke ist länger, das Wetter regnerischer, mein Respekt grösser; vielleicht ist Angst das passendere Wort.
Die Ausrüstung 2012 war gut; zwar ist nichts, das ich dabei habe, das selbe oder gleiche wie letztes Mal, aber alles ähnlich. Der Rucksack ist dieses Mal nicht braun, sondern sehr orange: Safety first! keine gefährlichen Strassen, Tunnel. Wenn es eng wird nehme ich den Zug. Und, ich habe zwei Kilogramm weniger dabei, gehe leichter.
Soll man eine solches Erlebnis wiederholen? Weil es doch schön war? Oder in Ehren halten? Hat man die Leiden schneller vergessen als die Freuden? Verliert man eine Erinnerung? Oder vertieft eine Erfahrung? Keine Ahnung!
Ich will es versuchen, mit offenem Herzen, mit Geduld und Muse. Wenn ich es diese Mal nicht bis ganz in den Norden schaffe, unterwegs, in der Regenzeit mit Schmerzen in einem Bergdorf festsitze, dann ist es gut, dann gibt es ein nächstes Mal, ein drittes Mal. In dieser Freiheit liegt die Kraft, hoffe ich.
Vorweg: Danke an meine liebe Familie, sie lebt derzeit in Japan, in unserem winzigen Häuschen dort. Es ist ein Wunder, dass sie mir schon zum zweiten Mal ein solches Geschenk macht.
Glückliche Anreise
Gestern war in der Nähe des Startortes ein starkes Erdbeben. Da ich die Reise einen Tag verschieben musste – es war Besuchstag in der japanischen Schule unserer Kinder – war ich nicht betroffen. Heute ging es los, mit dem Shinkansen bin ich angereist:
Nachtrag: Was für eine Nacht, 20 Nachbeben; wenn die mich, recht weit weg vom Epizentrum, schon so schütteln, wie erleben es erst die Menschen dort?!
Erster Tag
Die ersten 20 Kilometer bin ich gelaufen. Die Ausrüstung hat sich bewährt, der Körper gibt sich Mühe – habe noch keine Blasen.
Etwa auf halber Strecke schreit mich auf einmal meine Hose an: „Jishin! Jishin!“ Bin sehr erschrocken, obwohl, in Japan spricht ja alles zu einem: Das Bad (vor dem automatischen Wassereinlassen, damit man den Stöpsel nicht vergisst, und wenn alles parat ist), die Klimaanlage, die Reiskochmaschine, eben alles. Aber die Hose nicht, es war natürlich das Handy; obwohl ich es lautlos gestellt habe, zudem zeigte es eine Meldung auf dem Bildschirm, die ich nicht verstanden habe. Aber „Jishin“ schon, das heisst Erdbeben. Wusste nicht so recht was machen, von der nahen Stadt hörte man auch eine Durchsage über Lautsprecher. Passiert ist dann aber nichts, bzw. nur ein schwaches Nachbeben, wie es jede Stunde eines gibt. Beim Laufen merke ich sie kaum, im Hotel schon, genau jetzt beim Schreiben dieses Satzes bebt es etwa.
Anstrengend
Ich ahnte, dass bei dieser Wanderung der Beginn nicht einfach sein wird. Habe es heute auch erlebt. Die Strecke war wieder nur 20 Kilometer, aber dazwischen ein spitziger, giftiger Berg; wobei nur 600 Meter hoch, vielleicht ist Hügel das bessere Wort, aber das tönt zu sanft für diesen Teufel. Dann noch das letzten Drittel auf einer stark befahrenen Hauptstrasse ohne Trottoir (was in Japan selten ist). Ist leider anstrengender als es tönt, man muss ständig den Verkehr im Auge behalten und immer wieder von der Strasse runter.
Aber, dann am Ziel, ein altes Ryokan, ein gemütliches Zimmer, ein gutes Essen, gleich ein heisses Bad – und alles ist vergessen. Naja, bis auf die Blasen (2 Stück, gross), die bleiben noch etwas.
Nachtrag: Im Bad habe ich einen sehr tätowierten Mann getroffen, sehr nett, haben ein bisschen geplaudert. Dass er im Bad ist, hat mich überrascht, Tattoos sind in vielen Bädern nicht erlaubt, auch nicht kleine, auch nicht bei Ausländern. In Japan werden sie mit den Yakuza assoziiert. Es gibt aber Pflaster, zum drüberkleben.
Füsse!
Gestern war es extrem, nach 25 Kilometer Schmerzen bei jedem Schritt, im Hotel dann der Schock als ich meine Füsse sah… keine Details. Heute dann nochmal 20 Kilometer. Warum tue ich mir das an?!
Alles andere ist gut: Wetter, Strecke, Hotels, Leute, heisse Bäder, Essen. Gestern gab es Fugu, Kugelfisch. Mit diesen Füssen macht es halt weniger Spass, man hat nicht mal Lust anzuhalten, um ein Foto zu machen, weil das Weiterlaufen dann schmerzt. Heute bin ich rund 5 Stunden gelaufen und nicht einmal hingesessen.
Letztes Mal war es ähnlich; am Anfang viel zu laufen ist keine gute Idee. Später dann sind 30, 40, gar 50 Kilometer täglich machbar, dann entscheidet nur noch der Kopf und Wille, nicht der Körper. Dieses Mal geht das nicht, es hat schlicht zu wenig Unterkünfte hier. Klar: Eine bessere Vorbereitung wäre auch hilfreich gewesen;)
Bin jetzt im Hotel, habe wieder Internet, weiss nicht so recht wie weiter, freue mich über Kleinigkeiten.
Nochmals versucht
Ich will die geneigte Leserschaft nur noch ein letztes Mal mit meinem medizinischen Status belästigen. Haben es heute nochmals versucht; um die Schmerzen etwas zu lindern bin ich sozusagen auf Zehenspitzen gelaufen, war keine gute Idee, jetzt tut wirklich alles weh. So sei es denn: Team Realität vertreten durch Haut, Fleisch und Knorpel gewinnt nach kurzem und fairem Kampf klar. Die Spieler Wille, Trotz und Stolz vom Team Plan geben sich geschlagen. Morgen nehme ich ein Taxi zum Bahnhof, und von dort den Zug zum nächsten gebuchten Hotel.
Aus obigen Gründen habe ich mich sehr auf ein heisses Bad gefreut. Aber oh weh, das Bad gab es und es war heiss. Doch bevor man da rein darf, muss man sich an einem Waschplatz blitzblank sauber schrubben. So ist es Sitte, so macht es Sinn. Nun hat es aber da kein heisses Wasser gehabt; kam einfach nichts raus, nur eisiges Bergwasser, so wie ich das sehe noch dazu gekühlt. Kalt war es! und so eine kurze Katzendusche ging nicht, das ganze Ritual musste es sein… Das schöne Hotelzimmer hat die Nummer 313, was kann man da schon erwarten? PS: In Japan ist 4 die Unglückszahl, da sie gleich ausgesprochen wird wie Tod. Die netten Japaner haben der armen Zahl dafür gleich noch eine zweite Aussprache gegeben.
Habe noch die Höhle hier besucht, ist die grösste in Japan. Schön!
Business-Hotel
Es hat heute gestürmt; Laufen wäre ohnehin nicht gegangen. Der Zug, den ich nehmen wollte, ist daher ausgefallen, am Bahnhof hat man mich zusammen mit zwei anderen Gestrandeten, kurzerhand in ein Taxi gesteckt und das auch bezahlt.
Am Zielort war der Sturm noch stärker, bin ins Hotel, habe mir dort einen Regenschirm ausgeliehen, wollte etwas in der Stadt herumkriechen: Der Schirm ist mit der ersten Böe kaputtgegangen, meine liebe Kappe weggeflogen, ich dachte ins Meer, stand gerade auf einer Brücke. Etwa eine halbe Stunde später (in der Zwischenzeit einen netten Deutschen getroffen), wieder über die Brücke; geschafft, und sehe dort, in einem Strassengraben: die Kappe! Zurück im Hotel, dann im Zimmer: Was fehlt? die Kappe. Sie wurde glücklicherweise kurz darauf im Hotel gefunden.
Apropos Hotel: Japanische Business-Hotels – also solche mit Bett und meist für Geschäftsreisende, in der Nähe eines Bahnhofes – sind mir sehr lieb. Sie sind günstig (das hier kostet mit Frühstück etwa 60 Franken), haben winzige Zimmer, da steckt alles drin. Bei diesem durften sich die Einrichter ausgetobt. Das übliche: Bett und Dusche, dann viele Geräte: WC (beheizt etc.), Fön, Fernseher, Wasserkocher, Klimaanlage, Uhr, Kühlschrank.
Und weiter:
- Ein Luftbefeuchter
- Ein Gerät, in das man die Hausschuhe steckt, die dann irgendwie behandelt werden
- Fernbedienung für Licht und Klimaanlage, und nochmal 3 leere Halter auf der anderen Seite des Bettes, wenn einem die Lage der Fernsteuerungen nicht behagt?
- Ein „Amusement“-Set: so Metalldingelchen die man auseinandernehmen kann – man stelle sich mal vor, wie lange die in einem europäischen Hotel dort hängen würden…
- Eine Dartscheibe!
おいしい - lecker
Das war die Speisekarte und mein heutiges Abendessen, in einem kleinen Restaurant, im ersten Stock eines unscheinbaren Bürohauses:
Alt und Neu
Gestern war Ruhetag in Hagi, habe da neue Schuhe gekauft, das bequemste Paar ausgesucht. Die sehen jetzt aus wie sie viele Senioren auf der ganzen Welt tragen. Die wissen was gut ist!
Mit denen ging es heute weiter. Etwas mehr als 25 Kilometer, es hat geregnet. Die Gegend hier ist einsam, einmal habe ich rund 3 Stunden, ausser einer Schlange, nichts und niemand gesehen; es hat Häuser und kleine Dörfer, aber man sieht selten Menschen, keine Läden oder gar Schulen. Ein Zug (er hat einen Wagen) fährt ein paar Mal am Tag, darin sitzen aber kaum Passagiere und die Bahnhöfe sind nicht besetzt oder in Stand gehalten. Es gibt Ausnahmen, klar, das Minshuku in dem ich heute untergekommen bin, ist ganz neu, sehr aufmerksam geführt und eingerichtet. Das WC (bzw. dessen Deckel) verbeugt sich wenn man den Raum betritt! Aber ein so neues Haus habe ich heute kein zweites Mal gesehen.
Zum Abendessen gab es viel frischen (Tinten-)fisch, gleich vor dem Haus geangelt. So frisch, dass er sich noch bewegt und die Haut ständig die Farbe gewechselt hat.
Hunde, die bellen, beissen
Auf einige Dinge könnte ich gerne verzichten: Wurde heute früh auf einer Nebenstrasse von drei Hunden verfolgt und auch gebissen. Nichts schlimmes, mehr Kratzer am Knöchel. Junko hat dann geholfen, und die Besitzerin des gestrigen Gasthauses, Danke! Zur Sicherheit war ich im Spital, alles Ok: In Japan gibt es keine Tollwut, und gegen alles andere sollte ich geimpft sein. Das Spital lag im heutigen Zielort, bin gleich da geblieben; Wunden lecken.
Flow
Erlebe schöne Tage: Die Wegen sind gut, muss einzig manchmal einen Tunnel oder eine gefährliche Stelle umlaufen, und so geht es etwas im Zick-zack. Heute hat mich ein Mann in seinem Lastwägelchen ein paar hundert Meter mitgenommen – es waren eigentlich nur drei, vier Kurven, aber unüberwindlich, sehr eng, schlicht kein Platz zum Laufen und dazu stark befahren. Für solche Gelegenheiten habe ich Postkarten aus der Schweiz dabei, die ich als Aufmerksamkeit geben kann. Oft bekomme ich etwas zurück, so scheint es in Japan Brauch: Kekse, etwas zu Trinken, eine Tomate.
Gestern war die Strecke etwas über 20 Kilometer; heute am Zielort war ich noch fit, und habe nochmals 10 Kilometer drangehängt, am Ende waren es dann 30 Kilometer. Bin im Fluss, alles fügt sich.
Die Stadt hier, Hamada, gepflegt, mit grossem Hafen und schönen Stränden, hat einen passenden Namen. Sie schreibt sich 浜田. Das zweite Zeichen steht unverkennbar für (Reis-)feld. Das Erste (浜, hama, Strand) besteht wiederum aus zwei Teilen, links zusammengequetschtes Wasser (氵, normal sieht es so aus: 水). Und rechts 兵, Krieger, oben Axt unten Beine. Mm, passt nicht so recht, oder? Ja, das 兵 sieht zwar aus wie das Zeichen für Krieger, ist aber eine vereinfachte Schreibweise von 賓 = Ehrengast.
Flow (2)
War heute noch in einem winzig kleinen Isakaya (居酒屋, sehr frei übersetzt Essen-Trinken-Spass). Alle sehr nett, habe die Karte nicht verstanden, dann gefragt, was Osusume (おすすめ, Empfehlung des Hauses) sei. Die Antwort habe ich auch nicht verstanden, und – gemäss dem Motto des heutigen Tages – bestellt.
Es war dann ein Fisch, den man teils roh, teils frittiert, komplett essen konnte. Hat sehr gut geschmeckt, überraschenderweise auch der Kopf. Es war auch anschliessend noch sehr nett, erstaunlich wie gut wir uns verstanden haben. Wie immer ohne Englisch; das hat (mit einer Ausnahme, eine Managerin eines kleinen Hotels, die auch im Ausland lebte) bisher niemand mit mir gesprochen.
Pause
Es regnet, gestern ging es gut, bin tropfnass und glücklich nach 6 Stunden wandern im schönen Yunotsu-Onsen, einem Ort mit heissen Quellen und vielen Gasthäusern, angekommen. Heute habe ich bereits nach 2 Stunden die Wanderung beenden müssen, der Regen war Ok, aber der Wind zu stark.
Morgen beginnt in Japan die Golden Week: Zwischen dem 29. April und 5. Mai liegen vier Feiertage. Und da in Japan alle Feiertage, die auf ein Wochenende fallen, am nächsten Werktag nachgeholt werden, hat Anfang Mai das ganze Land Urlaub und ist unterwegs. Ich werde die Zeit mit meiner Familie verbringen, erst in Okinawa (einer warmen Insel im Süden von Japan) und dann in Nara. Die Wanderung geht anschliessend weiter, in der Golden Week wären freie Hotels ohnehin kaum zu finden.
Zeit für einen kleinen Rückblick: Alles war gut. Jedes einzelne Essen und jede Unterkunft. Jeder freundlich. Gelaufen bin ich rund 210 Kilometer, 3 Etappen musste ich aussetzen oder frühzeitig abbrechen (Füsse, Hundebiss, Wetter) – ich werde mein „Wanderkarma“ also noch etwas auffüllen müssen.
Bücher
Bin wieder ans Ende der Welt gereist (7 Stunden Zugfahrt), an den Ort, den ich vor einer Woche verlassen haben. Morgen geht es weiter.
Die Ausrüstung ist unverändert, einzig die Bücher habe ich ausgetauscht, bisher gelesene zurückgelassen: Geschichte Japans, Grundgesetz, Stolz und Vorurteile, Über die Demokratie in Amerika, Erzählungen von Tschechow, Das Unbehagen in der Kultur von Freud und Cäsars Bürgerkrieg. Alles sehr empfehlenswert. Jetzt mit dabei sind Klassische deutsche Kurzgeschichten, Zhuangzi und Über den Umgang mit Menschen von Knigge.
Wasser
Hat geregnet heute, war schon nach einer Stunde komplett nass. Insgesamt waren es dann 5 Stunden. Im Zimmer habe ich aus einem Schrank, Verlängerungskabel und Fön eine Trockenkammer gebastelt. Am liebsten würde ich mich da auch reinsetzen…
Das Hotel heute hat ein Thermalbad, heisst hier Gesundheitsmeer; gross, überall mit Wassersprudel und -düsen, und voll Salzwasser. Konnte mir glücklicherweise eine Badehose mieten. In Japan wird vieles – in Hotels, Restaurants, überall – mit liebevollen Schildern erklärt. In diesem Bad gab es alleine in der Umkleide bestimmt ein halbes Duzend, war gar nicht so einfach die zu deuten:
Wetterküche
Mein heutiges Etappenziel, Izumo, schreibt sich 出雲. Das erste Zeichen 出 symbolisiert ein Pflanze, die aus der Erde spriesst, und heisst Herauskommen, manchmal Ursprung, seltener auch Suppe, Brühe. Das zweite Zeichen 雲 steht für Wolke, oben Regen unten Dampf. Frei übersetzt: Wetterküche.
Und diese Stadt machte ihrem Namen alle Ehre: Von vorne Wind und Regen, von links die Gischt des Meeres, von rechts die der Lastwagen – und ich mittendrin in einer Pfütze. Zudem hat der Wetterbericht mir heute besseres Wetter versprochen, so war der Regenschutz ganz unten im Rucksack, und die Hoffnung auf Besserung erst aufgegeben, als es zu spät war. Habe dann meine Schlecht-Wetter-Kleider angezogen, und so war dann wirklich alles nass. Bin gespannt auf die Regenzeit im Juni…
Am Nachmittag war alles gut: die Strecke (Strasse auf einem Damm, mein Lieblingsweg, flach, ohne Verkehr und Tiere), das Mittagessen in meinem bevorzugten Schnell-Imbiss Sukiya, das Hotel (Businesshotel mit heissem Gemeinschaftsbad und Waschmaschine). Hier ist vielleicht ein Wort zu den Preisen in Japan angebracht: Das heutige Mittagessen hat mit Getränk 600 Yen (5.30 Franken) gekostet, das Hotel 6200 Yen (55 Franken). Beides von hoher Qualität, schön, zentral.
Gerne locker
Bin gestern zum ersten Mal eine lange Etappe gewandert, bei schönem Wetter, 35 Kilometer. Ging recht gut. Da der Zielort nur über eine Schnellstrasse erreichbar war, bin ich die letzten 15 Kilometer mit dem Zug gefahren. Dafür zu Beginn der Etappe 15 Kilometer zu einem schönen Schrein gelaufen. War ein guter Tausch. Bei der letzten Wanderung habe ich mir solche Routenänderung nicht erlaubt, dieses Mal sehe ich das freier: Was bringt es, 25 Kilometer einer Schnellstrasse entlangzulaufen? Wobei: Heute habe ich eben das getan, war auch Ok.
Gestern habe ich in einem „Onsen Hotel“ übernachtet, ist wie ein Ryokan, nur grösser. Das Bad war gewaltig, mit 30 Waschplätzen, 6 Bädern, dazu hatte es diverse Restaurants (in Ryokans isst man meist im Zimmer). Alle waren fast schon hysterisch freundlich zu mir. Das schöne an diesen Hotels und Ryokans, man muss selbst nichts mitnehmen, an nichts denken. Bei der Ankunft geht man Baden, zieht sich einen Yukata (schlichter Kimono, alle Gäste haben den gleichen) und Hausschuhe an, damit geht man dann Essen oder im Park spazieren.
Heute morgen bin ich gemäss dem oben geschrieben mit Yukata in den grossen Frühstückssaal, da sitzen bestimmt 50 Gäste – und alle tragen „normale“ Kleider. Ich frage nach, ob es mit Yukata auch Ok ist, bekomme als Antwort: „大丈夫, ゆっくりどうぞ.“ Heisst: „Passt schon, Gerne locker nehmen.“ Diese drei Worte habe ich zumindest verstanden, die Antwort war um ein vielfaches länger, mit allen möglichen Höflichkeitsverzierungen. Das tönt beim Einchecken beispielsweise so: „Bitte erlauben Sie mir, Ihnen darzulegen, dass man es als üblich ansieht, wenn Ihr verehrter Namen auf dieses Papier gepinselt werden würde.“
Aufgaben
Heute bin ich 2 Stunden spazieren gegangen, ohne Rucksack, es war ein schöner Ruhetag. Wobei, ich hatte drei Aufgaben zu erledigen:
- Zuerst Waschen, mache ich eigentlich jeden Tag: erst die tausend Schilder bei der Waschmaschine und dem Trockner deuten und verstehen wie alles funktioniert; dann Seife organisieren, diese Mal an der Rezeption, habe da nach „Seife für Waschmaschine“ gefragt, all die üblichen Missverständnisse, ging – wie immer – irgendwie.
- Dann Haare schneiden, also zuerst herausfinden wo es einen „normalen“ Friseur gibt, einen ohne Kopfmassage etc. In Japan braucht man da keine Anmeldung. Mein vorbereiteter Satz „Bitte 3 Millimeter mit der Maschine“ war wohl doch nicht so gut vorbereitet, wurde zumindest nicht verstanden. Man meinte erst: alles ab, naja, auch kein so grosser Unterschied. Nach Beratschlagung aller 5 Friseure dort, kommt man zum Schluss, dass ich drei Millimeter mit der Maschine meine. Durch eine nicht mehr zu rekonstruierende Aneinanderreihung von Missverständnissen, kam ich noch in den Genuss einer professionellen Rasur, hatte ich noch nie, war gut.
- Zuletzt eine neue Kamera kaufen, die letzte ist wohl ertrunken. Wieder zuerst ein Geschäft suchen; seit dem Erscheinen der neuen Version von Google Maps eine sehr aufwändige Angelegenheit, früher war alles besser. Dorthin, glücklich das gewünscht Modell (Ricoh GR) gefunden, dem Verkäufer auch bald erklärt, dass ich dieses möchte. Dann gibt es ein Problem, so weit ich es verstehe, ist die Kamera nicht mehr am Lager, ich höre im Redefluss des Verkäufers zumindest das Wort ちゅうもん, Bestellung. Irgendwann wird klar, dass er mir das Vorführmodell geben könnte, was ich eine gute Idee finde, dann viele Fragen die ich nicht verstehe: Vielleicht ob ich warten will? Oder wiederkommen? Keine Ahnung… Meine Fragen auf Englisch, oder Bitten etwas zu wiederholen, werden wohl von ihm genau so wenig verstanden, wie seine sehr höflichen Ausführungen von mir. Später vielleicht die Frage nach Garantieverlängerung? Eine Frage habe ich so verstanden, ob ich alles auf einmal oder in Raten zahlen möchte? Das ganze geht bestimmt 15 Minuten. Die einzige Frage, die ich schon kenne und kann („Haben Sie eine Kundenkarte?“) stellt er überraschenderweise nicht…
Ich habe jetzt saubere Kleider, frisch geschnittene Haare, eine neue Kamera. Alles ging gut. Lerne jetzt Japanisch!
Hoch
Der heutige Tag war zweigeteilt: am Morgen auf einer schönen, breiten Strasse bis zum Hotel, am Fuss des 大山 (Daisen, Grosser Berg), waren 20 Kilometer und 800 Höhenmeter.
Am Nachmittag wollte ich noch auf einen Berg hoch: den 大山 selbst darf man nicht besteigen, nur zwei Nebengipfel‚ ich bin bei einem etwa bis zur Hälfte gekommen, nochmal 500 Höhenmeter.
Wanderer gab es, aber wenige, ich denke der Ort blüht im Winter auf, es gibt Skipisten (mein Hotelzimmer blickt auf eine) und Skischulen, -geschäfte.
Im Hotel bin ich alleine; als ich ins Bad wollte, waren die üblichen roten und blauen Tücher, die zeigen welches Bad für Frauen und welches für Männer ist, nicht aufgehängt. Keine Risiko! lieber nachfragen – Antwort: Sie sind der einzige Gast, wählen Sie aus.
Die vorgestern gekaufte Kamera, ist… kaputt. Das Laptop ist mir eben vom Schoss gerutscht, und just auf dessen Display: Futsch. Und das nach dem ganzen Trara beim Kauf!
Gesellig
Heute war ein langer Tag (über 30 Kilometer, 8 Stunden unterwegs) und – für meine Verhältnisse – gesellig, habe 4 Postkarten verteilen dürfen. Am Morgen war ich in einem sehr kleinen Dorf, da gab es eine winzig kleine Poststelle, vielleicht so gross wie eine Bushäuschen, mit einer Schiebetüre. Dahinter, inmitten der in Japan üblichen, unzähligen Schildern und Zettelchen zwei Schalter, von zwei netten Frauen besetzt, vielleicht Mutter und Tochter? Der Grund für meinen Besuch in der Poststelle: ich wollte Bargeld, und viele Geldautomaten in Japan akzeptieren ausländische Kreditkarten nicht, jedoch alle der Post sehr gut. Einen Automat gab es in der Post natürlich nicht (hätte auch kein Platz gehabt). Man bot mir dann eine Geldüberweisung an, und half mir bei der Suche eines Automaten.
Am Nachmittag, kurz vor dem Ziel, hat mich ein Mann mit dem Auto überholt und beim nächsten Parkplatz gewartet; hatten dann ein sehr nettes Gespräch. Am Ende habe ich eine Wasserflasche und er eine Postkarte erhalten. Und dann am Ziel, in einer kleinen Pension (1 Zimmer) namens Cafe del Mar, eine sehr freundliche Gastgeberin angetroffen.
Ode
Ich bin erst vier Wochen gelaufen, und, wie letztes Mal, ist mein Ego auf die Grösse einer (sehr kleinen) Erbse geschrumpft. Ich meine das positiv! Wenn man so läuft und jeden Tag hundert, tausend Dinge sieht – natürlich die Natur, mit ihrer kühlen, rohen Schönheit – und den eigene Körper fühlt, wie er sich müht und schmerzt – und dann Häuser, Geschäfte, Fabriken, Autos: jedes für sich ein Wunder, zusammengesetzt aus tausenden Teilchen – und kleine Wege und gewaltige Strassen, Brücken, Tunnels, Schilder, ein Gewirr von Ampeln und Strommasten. Neue und alte Bahnhöfe mit ihrer Geschichte, Schulen, Krankenhäuser. Verlassene Häuser, voller Schutt und Vergessenheit – Fischer, Lastwagenfahrer, Krankenpfleger mit ihren kleinen Autos, jeden Morgen und Abend unterwegs, Busse und winzige Haltestellen, an jedem noch so kleinen Flecken, mit einem minutiösem Fahrplan, einem Stuhl zum Sitzen und manchmal einer Hütte – und die Reisfelder, tausende Gärten, gepflegt, mit Gemüse, Blumentöpfe vor jedem Haus – die Häuser! Jedes einzelne, mit Krimskrams gefüllt, draussen Kleider zum Trocken aufgehängt, laute Kinder, die von der Schule kommen, Eltern die sie begrüssen, Grosseltern die auf dem Feld arbeiten. Teenager, die scheu auf ihr Handy starren, oder zusammen lachen. Mädchen und Jungen im Kindergarten, wie sie barfuss in Pfützen springen und kreischen – Und Innen: Kneipen, der Chef betrunken, nach Essen und Trinken rufend, der Gestank und Rauch, das so gute Essen, die Hotels mit duzenden Zettel im Lift, mit herzlichen Comics, alles erklärend – überhaupt: ein Dach über dem Kopf, ein Bett, ein heisses Bad, auch Internet.
Wenn man das Tag für Tag, stundenlang sieht, bekommt man einen so gewaltigen Respekt, mir geht es zumindest so, vor den Menschen. Vor jedem einzelnen, und noch viel mehr vor der Gemeinschaft. Bestimmt übersehe ich vieles – hoffentlich nicht das Schöne, das Gute?
Viel Verkehr, und ein Trottoir
5 Sterne
Habe die letzten beiden Tage mit meiner lieben Frau und den braven Kindern verbracht. Wir waren hier in Tottori, berühmt für seine Sanddüne, Strände und Krebse. Übernachtet haben wir in einem Hotel, das im Internet von über 1000 Personen im Durchschnitt mit 4.9 von 5 Sternen bewertet wurde. Ich war im Vorfeld gespannt: Japaner sind sehr streng zu ihren Dienstleistern, habe schon einige Mal erlebt, wie bei Dingen, die wir überall sonst auf der Welt & Tag für Tag klaglos erdulden (Speisekarte kommt etwas später, ein Gast, der nach einem kam wird vor einem bedient etc.) Japaner wirklich sauer geworden sind, was doch sehr ungewöhnlich ist: laute Japaner sind mir sonst nie begegnet. Und dass es dann ein Hotel schafft, von 1000 Personen so gut wie jeden glücklich zu machen?
Als ich eingecheckt habe, ist mir aufgefallen, das ich das Hotel kenne, vor genau 10 Jahren (bzw. 9 Jahren und 11 Monaten) waren wir schon hier und es war gut. Und dieses Mal?
Nun, nach dem Aufenthalt kann ich sagen, sie haben die 5 Sternen verdient, wobei bei mir auch weniger dafür gereicht hätte. Der Grund: Das Hotel war zwar in jeder einzelnen Kategorie nicht Weltklasse; Zimmer, Essen, Bad etc. gibt es irgendwo schöner, besser. Aber in Bezug auf Freundlichkeit war es aussergewöhnlich, eine solche erlebt man selbst in Japan selten, und – so denke ich zumindest und attestieren es die vielen Bewertungen – in der konstant hohen Qualität: Alles ist gut (war es zumindest bei uns), und ist es immer. Ich glaube, es war ein berühmter Sushi-Koch, der gesagt hat: „Ich versuche jeden Abend gut zu kochen.“
Komödie in 5 Akten
Das Essen, sieht gut aus, aber etwas roh?
Hier kommt der Grill; und ich soll kochen? Kann ich das?
Nein, kann ich nicht: 5 Minuten später, Finger verbrannt, Kellnerin bringt Eiswürfel.
Noch ein Versuch, Kellnerin schaut mich traurig an.
Hoch und runter
Es gibt hier meist nur zwei Strassen von West nach Ost: eine neue, stark befahrene, mit vielen Tunnels; und die alte Küstenstrasse, auf der ich die letzten zwei Tage gelaufen bin. Sie führt zu jedem kleinen Fischerdorf, geht hoch und runter. Man sieht es gut am Streckenprofil der heutigen Etappe – und spürt es in den Beinen: Ich war nach nicht mal 25 Kilometer, für die ich über 6 Stunden benötigt habe, fix und fertig. Zum Glück „musste“ ich dann den Zug nehmen, da es ab da nur noch die eine Schnellstrasse gab.
Im heutigen Ryokan hat man sich viel Mühe gegeben: etwa alle Zettelchen im Zimmer durch deren englische Ausgabe ersetzt. Und meinen Namen in japanischen Schriftzeichen an die Türe geschrieben. Mein Name! Ha, in jedem Hotel ein Quell der Freude: Man schreibt ihn hier Kurisu-chan. Die Endung -chan würde man eher bei einem jungen Mädchen oder einer süssen Katze erwarten, es ist die Verniedlichungsform. Nun stelle man sich vor, alle im Hotel warten gespannt, auf diese Chris-chan; und dann kommt ein Mann, mit wenig & grauen Haaren. Aber klar: Man kennt den Namen wohl, hat ihn nicht zum ersten Mal gesehen.
Nach Süden
Ich laufe jetzt Richtung Süden, versuche auf die andere Seite Japans zu kommen. Hier noch mehr als an der Küste fällt auf: Japan ist entweder flach oder steil. Der Talboden wird intensiv genutzt, mit bewässerten Reisfeldern, Häusern, Gärten, Fabriken, Strassen – bis ganz an den Rand. Die Hügel und Berge hingegen sind sehr steil, und fast ohne Ausnahme dicht bewaldet und unbewohnt.
Gestern war ich in einem kleinen Supermarkt, sehe dort einen Stand mit Schweizer Produkten, herrlich drapiert mit den obligaten Zettelchen. War überrascht, auch über die Produkte.
Splitter
Eine Zugfahrt, der malerischen Küste entlang: Neben mir ein Mann, auf dem Schoss ein dickes Buch, mit allen Zugfahrplänen Japans; ganz vertieft, in Abfahrtzeiten und Routen, sieht kein einziges Mal aus dem Fenster.
Aufstieg auf einen Berg. Mutter und kleines Kind, langsam, Stufe um Stufe. Sie fragt dann und wann, freundlich „Geht es?“ Es antwortet jedes Mal, weinend „Es geht nicht!“
Putzfrau, in einem kleinen Hotel, ältere Frau; spricht perfekt englisch.
Kurzsichtige Kellnerin, erster Arbeitstag, versteht mich nicht, sieht auch nicht auf welches Menü ich zeige, bringt anschliessend alles mögliche. Mann am Nachbartisch, lotst alles zu sich: „Ich habe es gerne.“
Meine liebe Frau, am Bahnhof, angesprochenen von einem heiteren Mann, am Nachmittag. Nachher zu mir „Jetzt schon betrunken?“
Der Autor dieser Zeilen, sucht mit dem Handy lange eine Buchhandlung in der Nähe, flucht und schimpft; steht die ganze Zeit davor.
Trivia
Irgendwo, einsam, in einer grossen Waldlichtung, sehe ich heute eine Kirche. Denke erst, das sei eine der üblichen Heiratskirchen, die man hier und da sieht, schön, ohne kirchlichen Bezug. Google erklärt mir dann aber geduldig, dass sei das Ausbildungszentrum einer Christlichen-Israelischen Sekte, gegründet von einem Japaner. Nur rund 1% der Japaner sind Christen, allerdings hängen an vielen Häusern Bibelsprüche, ich sehe sie jeden Tag. Immer sind es ähnliche Schilder: weisse und gelbe Schrift auf schwarzem Grund, aufgehängt von einer unabhängigen Organisation.
Und: Habe heute zum ersten Mal Affen gesehen! Drei Stück, haben listig einen Gemüsegarten ausgeraubt. Affen leben fast überall in Japan, rund 160’000 sind es.
Zickzack
Gestern und heute musste ich bestimmt sechs Mal einen Umweg laufen: mal war die Strasse nicht einfach zu laufen, oder dann ganz gesperrt, oder da war früher bestimmt mal ein Strasse, jetzt aber ein Golfplatz. Das sieht dann etwa so aus:
Trotz Umwegen war es heute ein kurzer, herrlicher Spaziergang, 17 Kilometer und einige Höhenmeter, bei schönstem Wetter!
Zwischendurch
Heute hat mich meine liebe Frau begleitet. Begonnen hat die Etappe im Norden, es ging über den Berg Pompon (der heisst wirklich so) mit fast 700 Metern Höhe, dann weiter in die Stadt (die, wie überall, ganz plötzlich beginnt, sobald es flach wird). Und am Ende dem Fluss entlang. Wir hatten 8 Stunden, für etwa 25 Kilometer. Liebe Frau: Respekt!
Das heutige Etappenziel (letztes Bild), liegt genau zwischen Ōsaka und Kyōto, ist von beiden Städten rund 20 Kilometern entfernt. Allerdings ist das ganze Gebiet eine grosse Stadt, es leben hier 16 Millionen Menschen, auf einer Fläche etwa so gross wie der Kanton Bern.
Ōsaka war schon immer das Handelszentrum Japans, hier war der Reishandel zuhause, entstanden die ersten Banken. 京都, Kyōto war über 1000 Jahre der Wohnort des Kaisers und rund 500 Jahre davon auch Hauptstadt. Beide Zeichen 京 und 都 bedeuten übrigens dasselbe: Hauptstadt! da wollte jemand ganz sicher gehen…
Halbzeit
Bin eben in unserem kleinen Haus in Nara angekommen (zweitletztes Bild). Bisher gelaufen 720 km, in 6 Wochen, war eine schöne Zeit.
Regenzeit
Die Regenzeit beginnt jetzt, und da – ich muss es gestehen – laufe ich nicht gerne, werde ein paar Tage hier in Nara bleiben, bis das schlimmste vorbei ist. Will aber nicht faul herumsitzen, und habe von all meinen unzähligen Schwächen zwei ausgesucht, an denen ich arbeiten will: Schwimmen und Japanisch sprechen, gehe also jeden Tag ins Schwimmbad und in die Sprachschule.
Habe gleich heute damit begonnen: war in Osaka (was für eine Stadt! ein andermal mehr dazu) im Unterricht, anschliessend Schwimmen – und dazwischen „urban Wandern“, bin also da gelaufen, wo normale Menschen die U-Bahn oder den Bus nehmen.
Das Schwimmen war gar nicht einfach: Eintritt, fehlende Badekappe, Umkleide etc. habe ich noch ganz gut gemeistert, aber dann waren die Schwimmbahnen mit Schildern beschriftet: Da gab es solche, die wohl nur zum „Wasserlaufen“ waren (das Becken war 25 Meter lang und nicht tief), andere vielleicht für Schwimmschule oder -club reserviert, und je eine mit „25 Meter“ und „50 Meter“ (und viel! mehr Text) beschriftet. Die nette Bademeisterin konnte ich nicht recht verstehen. Bin dann und wann auf der 25-Meter-Bahn geschwommen, als sie nicht zu voll war.
Gefängnisbad
War heute wieder in der Schule und in einem (anderen) Schwimmbad; mitten in Osaka, gross, aussen, 50 Meter lang. Das Bad konnte man nur über eine Gang mit einer sechsstrahligen, automatischen Dusche betreten, das war wohl auch der Grund, warum nur wenige ein Badetuch dabei hatten: einige hatten es in einer Plastiktüte hereingeschmuggelt, meines war nass. Das Bad war von einem Steinboden und einer Mauer umgeben. Vielleicht 50 Besucher, keine Kinder, alles Männer. Denke, eine Frau hätte hier Schüttelfrost bekommen. Die meisten Männer sitzen oder liegen auf dem Steinboden. Als ich dann ins Wasser bin (dieses Mal mit weniger Schildern, bzw. mehr Erfahrung) und ein Bahn geschwommen bin, ruft der Bademeister „10 Minuten Streching, alle, bitte!“ und wir müssen das Wasser verlassen. Dann kommt der Bademeister/Gefängniswärter zu mir, und fragt, ob ich eine Schnur hätte? Schur? … bin immer wieder überrascht, was ich alles übersehe: Ich trage Brille, auch im Bad, die muss man doch mit einer Schnur sichern!
Barbecue
Wir waren heute zu einem Barbecue eingeladen. Neben Fleisch und Fisch und Bier gab es noch etwas spezielles: Nagashi Sōmen, Fliessende Nudeln. Dabei werden Nudeln in ein langes, grosses Bambusrohr gegeben, mit Wasser heruntergespült, und jede fischt sich mit Stäbchen seine Portion heraus.
Es hat geregnet, daher sassen wir in einer Garage, geschützt. Gestern waren wir an einem Oktoberfest, da bei schönstem Wetter. Dieses Fest (es hiess zu Beginn „German Fest“) wird seit 13 Jahren, sehr professionell und an neun Orten in Japan gefeiert. Bei der ersten Bestellung bekommt man ein schönes Bierglas, das behält man dann, und gibt es am Ende wieder zurück.
Die Strassen von Ōsaka
Ōsaka ist der Wahnsinn. Ich kenne es noch gar nicht gut; die paar Bilder, die ich gemachte habe und die Zeilen, die ich hier schreibe, sind wenig mehr als erste Eindrücke.
So weit ich es bisher überblicke, sind es zwei Städte: im Norden („Kita“), um den Bahnhof Umeda, eine gewaltige Stadt, mit moderner Skyline. In diesem Jahr war ich da noch gar nicht, bisher nur im Süden („Minami“) um den Bahnhof Namba.
Hier steht seit kurzem das höchste Gebäude Japans und befindet sich die „teure Strasse“, breit, mit Tiffany und Apple-Store. Aber sonst ist der Süden viel roher & wilder: vielleicht 3, 4 Quadratkilometers davon sind vollgestopft mit Geschäften, Restaurants, Arkaden. Unterhöhlt von grossen Bahnhöfen und zwei fast einen Kilometer langen, unterirdischen Fussgängerzonen, auch die voller Geschäfte, Restaurants.
Es hat hier viele Touristen, fast alles Chinesen. Seit einiger Zeit können Ausländer sehr einfach in Japan steuerfrei einkaufen: man muss einzig einen ausländischen Pass beim Zahlen zeigen. Interessanterweise scheinen Drogerien bei den chinesischen Touristen sehr beliebt.
Dieser Teil der Stadt ist nicht schön, aber dicht, verwinkelt, ein Erlebnis. In jeder einzelnen Strasse, in jedem Gässchen, ja manchmal in einem einzelnen Gebäude, könnte man wohl Stunden zubringen, ohne alle Winkel ganz entdeckt zu haben. Im Keller eines Hauses befinden sich vielleicht zwei Restaurants, im Erdgeschoss eine Drogerie, darüber ein Reisebüro, in den nächsten Stockwerken lauter kleine Bars, jede einzelne kaum grösser als ein Wohnzimmer. Ganz oben ein Hotel, oder Ateliers, oder ein Zahnarzt, oder eine Schnellstrasse, oder gar alles zusammen. Und weit unter all dem eine U-Bahn-Station, auch die voller Leben.
Im Süden finden sich noch andere, kleinere Quartiere: das Koreanische Viertel etwa, oder Amerikamura („amerikanisches Dorf“) mit vielen jungen Leuten und Kleidergeschäften. Oder „Den Den Town“, die „Elektrostadt“.
Nara
Nara ist die Heimatstadt meiner lieben Frau, und versammelt 8! Weltkulturerbe: (etwas versteckte) japanische Gärten, die grösste bronzene Buddha-Statue, uralte Tempel und Schreine und Paläste. Sie liegt im Gebiet „Yamato“ – der hier lebende Stamm hat ab dem Jahr 500 Japan erobert – und war erste Kaiserstadt. Die Stadt ist so alt, so sehr Japan, hier hat jeder Stein und jedes Haus eine Geschichte. Das schafft ein gewisse Gemütlichkeit.
Ein Beispiel: Ich lese ein Buch über Musashi, dem vielleicht berühmtesten Samurai Japans. Irgendwann ist der auch in Nara, und kämpft dort auf einem Tempelhof gegen seinen Erzfeind. Ich frage meine liebe Frau, ob sie den Tempel kennt. Ja, klar, der ist (beziehungsweise war, jetzt ist er weg) gleich neben unserem Haus in Nara; die Bushaltestelle, die wir immer nutzen, hat noch dessen Namen: Aburasaka.
Letztes Wochenende waren wir im grossen Park in Nara, da befindet sich neben den meisten Sehenswürdigkeiten, auch ein kleiner See, auf dem man ein Boot mieten kann. Und hier sind die berühmten Nara-Rehe allgegenwärtig: sie sind zahm, verbeugen sich gar vor einem. Sie werden von den Touristen gut gefüttert; es war für die Kinder gar nicht einfach, eines zu finden, das noch Hunger hatte.
Stadthaus
Vorgestern waren wir in Osaka, einen ganzen Tag, im höchsten Wolkenkratzer Japans, 300 Meter hoch. Er hat einen eigenen Bahnhof, darüber das grösste Einkaufszentrum Japans, dann 3 Stockwerke mit Restaurants, ein Museum, das Hauptquartier von Sharp, ein grosses Hotel. Und ganz oben – neben einer Aussichtsplattform – einen Biergarten.
On the Road Again
Die Sonne ist heute kurz vor 5 Uhr aufgegangen, wir sind um 8 losgelaufen. Da war es 28 Grad warm, gegen Mittag waren es dann 34 Grad, im Schatten. Ich mag es heiss, sehr sogar, aber wir haben es dann nach 15 Kilometer für heute doch gut sein lassen.
War schön, wieder zu laufen!
Heiss
Heute war der dritte Tag in Folge mit Temperaturen von bis zu 35 Grad. Ich habe mich wohl etwas daran gewöhnt, konnte zumindest mehr als 25 Kilometer in 6 Stunden laufen: Am Morgen entlang eines Stausees, im Schatten. Am Nachmittag über Berg und Tal, bei brütender Hitze.
Ein Vorteil hat die Hitze: der Rucksack ist leichter, Pulli und Jacke habe ich Zuhause gelassen. Ich trage jetzt vielleicht noch 8 Kilo.
Manche Japaner sind etwas reserviert, andere gar nicht: Gestern hat mich eine nette, ältere Frau gesehen und als Ausländer erkannt, dann herzlich begrüsst, mir gar die Hand geschüttelt – und ist weiter gegangen, mich verdutzt zurückgelassen.
Fleisch
Für heute hat der Wetterbericht viel Regen angesagt. Ich war etwas in Sorge: 25 Kilometer laufen braucht dann doch Kraft und Geduld. Und tatsächlich hat es heute Morgen sehr stark geregnet. Aber bekanntlich kommt erstes alles anders, und zweitens als man denkt: Es gab im Hotel einen Stromausfall, ich konnte daher nicht auschecken, und als es dann gegen elf Uhr doch ging, war der Regen fast vorbei: es hat wohl den ganzen Tag geregnet, aber wenig.
Der Regenschutz, den ich dabei habe, ist ein Wunder: dicht, ganz weich, 350 Gramm leicht, man schwitzt darin kaum. Ich glaube er ist aus Feenhaaren gemacht. Preislich kann man ihn mit Silber aufwiegen.
Das stimmt auch für das berühmte Rindfleisch vom heutigen Etappenort Matsusaka. Es gilt zusammen mit dem aus Kobe und Yonezawa als das beste japanische Fleisch. Die drei zusammen nennt man denn auch 三大和牛, Sandai Wagyū: die drei grossen, japanischen Rinder. Übrigens, wenn der werte Leser nächstes Mal auf einer Speisekarte „Wagyū Beef“ liest, bitte gerne wissend & lächelnd anmerken, dass dies doppelt gemoppelt ist: gyū heisst bereits Beef.
Drei Sterne
Ich bin heute in Ise. Es hat hier viele Touristen, fast nur Japaner. Überraschenderweise wird dieser Ort von vielen Reiseführern nur beiläufig erwähnt, ich habe dazu eine Theorie. Der Leser urteile selbst:
Ise schreibt sich 伊勢, und bedeutet „diese/seine Kraft“. Die Stadt heisst erst seit 60 Jahren auch so, früher war es der Name des ganzen Gebietes. Bereits seit über 1500 Jahren gibt es Wallfahrten hierher, es ist der heiligsten Ort des Shintoismus, von Japan. Ise hat über hundert Schreine, sie sind um zwei Hauptschreine und deren herrlichen Parks gruppiert: um den Inneren Schrein (内宮 Naikū, hier ist die Sonnengöttin zuhause, die Begründerin der japanischen Kaiserfamilie) und den sechs Kilometer davon entfernten Äusseren Schrein (外宮 Gekū, hier lebt die Reisgöttin). Beide Parks sind sehr ähnlich aufgebaut: Man betritt sie über eine Brücke, nach der rituellen Handwaschung gelangt man in einen weitläufigen Wald, mit gewaltigen, alten Bäumen, hier befinden sich auch die Schreine. Vor beiden Parks hat es Restaurants, berühmten für ihre Nudeln.
Neben einigen Schreinen, etwa den beiden grossen, steht ein leerer Platz: Der Schrein wird eben da alle 20 Jahre neu gebaut, dann wird der „alte“ entfernt. Dies bereits seit 1300 Jahren, nur unterbrochen durch den 130-jährigen Bürgerkrieg, aktuell steht der 62. Neubau. Das Holz für die neuen Schreine kommt aus ganz Japan und wird zeremoniell nach Ise gebracht.
Die beiden Hauptschreine von Ise sind irrwitzig heilig: ich denke, es sind der einzigen Orte in Japan, an denen man nicht fotografieren darf. In einem dieser Schreine wird vielleicht eine der kaiserlichen Insignien aufbewahrt, ein achteckiger Spiegel. Sicher ist man nicht, nur der Kaiser darf den Spiegel sehen…
In den beiden Parks ist es trotz der vielen Besucher ruhig; alle Japaner verbeugen sich beim Passieren der grossen Torii (die hier nicht rot sind); viele sind schwarz, oder sehr feierlich angezogen. Zwei Touristen habe ich heute gesehen, mit Flipflops und grossen, farbigen Strohhüten; sie haben etwas verunsichert und verloren ausgesehen…
Kurz
Das war heute ein kurzer Spaziergang (15 Kilometer) durch ein schönes Gebiet, berühmt für Perlen und Taucherinnen. Und anschliessend etwa eine Stunde mit der Fähre. Schöne Bilder konnte ich leider nicht machen, es hat geregnet.
Das dritte Bild zeigt die Aussicht aus dem Hotelfenster. Was auf den ersten Blick vielleicht politisch aussieht, ist nur ein Gruss an die werten Besucher; das Dorf hier heisst Irago.
Nachbarschaft
Gleich neben meinem Hotel heute befinden sich Solarparks, ein Stahlwerk, Fabriken diverser Autozulieferer – und ein Werk von Toyota: Hier werden Lexus hergestellt, jede Minute einer. Das ganze Areal hat eine Fläche von 2 Quadratkilometern, die Fabrikhallen bedecken etwa die Hälfte davon. 1 Quadratkilometer!
Mittelland
Ich laufe bei schönem Wetter durch das japanische „Mittelland“. Auf breiten Strassen, mit Trottoir. Jeden Tag zwischen 25 und 35 Kilometer. Ist angenehm, einfach, braucht wenig Navigation. Der Shinkansen geht hier durch, alles ist bebaut, ein Haus neben dem anderen.
Das Gebäude auf dem zweiten Bild, das aussieht wie die Trutzburg eines Superschurken, ist übrigens ein Hotel für Paare, es heisst „Belle Grave“. Auf Französisch bedeutet das bestimmt etwas schönes & tiefsinniges, mir fiel nur „Schönes Grab“ ein.
Es war schön
Heute war der letzte Wandertag, morgen geht es zurück, erst nach Nara, dann in die Schweiz. Ich bin 980 Kilometer gelaufen, an 41 Tagen, habe zudem an 8 pausiert (Schmerzen, Wetter, Hundebiss, Schlafen!). Die durchschnittliche Strecke war mit 24 Kilometer etwa gleich lange wie 2012, da waren es Total 1505 Kilometer, pro Wandertag 23.
Und, wie war es? Ich kennen jetzt Japan ein bisschen besser, und auch mich. Einige Etappen – vor allem am Anfang und bei Regen und am Ende in der Hitze – waren anstrengend. Am Ende war auch etwas Routine dabei, auch Ok.
Letztes Mal war es nicht ganz einfach zurückzukommen: die Zeit draussen, im Wetter, an der Sonne hat mir nach der letzten Wanderung sehr gefehlt. Auch die aufmerksamen, ruhigen Japaner vermisst bestimmt jeder, der sie kennengelernt hat, vielleicht schon in Kloten, am Gepäckband. Am häufigsten zurückdenken werde ich aber bestimmt an die vielen kleinen Dinge: Am Morgen, die ersten Meter laufen, die Blumentöpfe vor den Häusern, die Reisefelder, die Freude, wenn ein Getränkeautomat am Wegrand steht, und auch das Lieblingsgetränk hat. Nach der Wanderung ein heisses Bad. Dann dass gute Essen, die gesellige Stimmung in einem Isakaya.
Danke an meine liebe Frau und brave Familie; danke an die Leserschaft.