Respekt

Ich laufe wieder, quer durch Japan. Etwas kürzere Strecken, pro Tag vielleicht 15, 20 km, durch Stadt und Land; es ist herrlich!

Wenn ich die Strecken jeweils morgens (grob) plane, schaue ich vor allem auf die Wege, ob es z. B. Trottoirs gibt (wichtig bei Brücken und Tunnels), und wenn immer möglich, wähle ich meine Lieblingswege den Flüssen entlang oder über Reisfelder. Klassische Wanderwege sind schön (und gut), aber auf die Dauer anstrengend, da steil.

Brücken sind so eine Sache: Ich habe leider etwas Höhenangst. Wann die genau aktiviert wird, ist mir aber immer noch ein Rätsel, manche Brücken sind ok, andere brauchen mehr Überwindung.

Vor Hunden habe ich auch Respekt. Das war bei der ersten Wanderung kein Thema, seit aber bei der Zweiten von einem nahen Bauernhof drei Hunde auf mich zugerannt sind und mich einer gebissen hat, ist es ein Thema. Dieses Mal habe ich für solche Notfälle einen Pfefferspray dabei, habe ihn auch schon ausprobiert, an einem unschuldigen Busch, der war dann ganz ruhig.

Gestern war ein Hundetag. Einer hat den ganzen Tag vor seinem Hof brav auf mich gewartet. Zum Glück war er gross: ich habe ihn gesehen und einen kleinen Umweg gemacht. Dann laufe ich einen Fluss entlang und höre weit vor mir viele Hunde bellen, es hilft nichts, ich muss da durch. Sehe dann einen Hundeübungsplatz. Zwei Hunde jagen nach einem Pistolensignal darüber, mal in die eine, mal die andere Richtung, trainieren wohl für ein Rennen, daneben noch drei, vier Hunde die anfeuern. Interessant zum Ansehen – und daran vorbeilaufen.

Andere Dinge machen mir auf der Wanderung eigentlich keine Angst: bin schon – ganz vorsichtig – über Geleise, Abflussgräben, Bäche gestiegen, auf allen möglichen und unmöglichen Wegen gelaufen.

Ferien

Die letzten zwei Wochen waren wir in Nara, Iga, Ehime und Tokio (danke, Familie!). Hier ein paar Impressionen, neu mit kurzen Kommentaren bei den Bildern:

Tokio

Bin jetzt, am Ende, wieder in Tokio. Wunderbar! Aber warum gerade hier? Tokio hat viele Flüsse, daher schöne, spannende Wege. Und Tokio ist gross, sehr gross, wirklich gross. Man kann sich in einem Menschenleben nicht sattsehen hier.

Dieses Jahr bin ich insgesamt etwas wenig gelaufen, 280 km. Wohl jeden Tag (wenn es nicht regnet) und mit viel Freude, aber oft auch nur kürzere Strecken von vielleicht 10 oder 15 Kilometer, man wird nicht jünger… Insgesamt bin ich nun 3380km durch Japan gelaufen.

Gäste

Überall, wo ich hingehe hat es mindestens einen Touristen: mich. Und es werden mehr: Als ich vor 25 Jahren das erste Mal Japan besuchen durfte, waren es 5 Mio., dieses Jahr wird mit wohl 36 Mio. ein Rekord aufgestellt.
An den üblichen Reisedestinationen bemerkt man das sehr deutlich, aber auch sonst: Der gemeine Tourist tendiert ja dazu, seinesgleichen nicht sehr zu mögen, daher zu meiden, und so findet man ihn auch an abgelegenen Orten. Ich sehe immer wieder überraschte, und auch etwas enttäuschte Gesichter, wenn ein anderer Gast mich in einer kleinen Kneipe, die er eben „entdeckt“ zu haben glaubte, als Gleichgesinnten erkennt.

Die Karten auf den ersten beiden Bildern hingen etwa in einem kleinen, etwas versteckt im zweiten Stock gelegenen Restaurant.

Einen Orden haben im Übrigen die Stationsmitarbeiter an manchen touristisch exponierten Bahnhöfen verdient, die, fast schon einem Nervenzusammenbruch nahe, versuchen, dem geneigten Touristen die grundlegenden Regeln nahezubringen, etwa hinter den Markierungen und in einer Reihe zu warten. Die dazu konzertierten Durchsagen haben einen leicht flehenden Ton, eine war: „Versuchen Sie bitte höflich zu sein, wenn sie in Japan sind.“ In einer späteren Durchsage wurde dann auch mit der Polizei gedroht, was man übrigens ernst nehmen soll: Vor kurzem hat ein 65-jähriger Tourist seine Initialen in die Säule eines Schreines geritzt, er wurde dann anhand der allgegenwärtigen Videokameras in seinem Hotel aufgespürt und festgenommen. Die Strafen in Japan sind drakonisch. Zu beachten ist auch, dass man in Japan ohne formelle Anklage und ohne dass die Botschaft intervenieren kann, bis zu 23 Tage im Gefängnis festgehalten werden kann.

Süden

In der ersten Woche habe ich einige Streckenteile verbunden, die ich im letzten Jahr ausgelassen habe, und in der zweiten Woche wollte ich nördlich von Tokio dort weiterlaufen, wo ich im Frühling aufgehört hatte. Nur, das Wetter ist in Kagoshima, ganz im Süden von Japan viel besser! Und so bin ich 7 Stunden und 1’300 Kilometer Zug gefahren und laufe jetzt hier; etwas üblichere Weg vielleicht, tut auch mal gut.

Tiefe

Japan zu fotografieren ist nicht einfach: Vor allem die Tiefe einzufangen gelingt mir nicht gut: Alles scheint sich zu überlagern, kaum etwas wird ersetzt oder verschwindet ganz, sondern wird meist ergänzt, und tritt langsam zurück. Das gilt für die Kultur, aber auch für das Sichtbare, im Alltag und in den Städten.

Natürlich gibt es in Japan auch diese singulären schönen Objekte, Gärten oder kunsthandwerkliche Preziosen. Aber die alltägliche Schönheit ist weniger das Einzelne als das Ganze. Nur: wie kann ich das in einem flachen Bild darstellen…?

Zum Beispiel zeigt das letzte Bild einen Bahnhof, er wurde vor 100 Jahren gebaut und vor 5 Jahren renoviert.

Auch schön

Ich laufe auch abseits der grossen Städte und hier entvölkert sich das Land langsam: die Dörfer sind sehr ruhig, viele Häuser und manche Schulen verlassen, die Züge leer.

Ich schaue mir diese Orte gerne & lange an. Wer hier wohl gelebt hat? Welche Geschichten sie erlebt haben?

Schilder!

Ich muss gestehen, es war nicht immer so, aber jetzt schon: Ich liebe Schilder! Diese Details, diese Aufmerksamkeit! Könnte sie stundenlange ansehen (wobei hier der Konjunktiv gar nicht zutrifft), und darüber sinnieren, was sie bedeuten, welche Geschichte dahintersteckt, was alles gedacht und gesprochen wurde, bis sie sich am Ende so präsentieren.

Hier einige Fotos dazu von diesem Frühling:

Und hier welche von diesem Herbst:

On the Tōkaidō again

Ich laufe nun seit 35 Kilometer wieder auf dem Tōkaidō, einem Weg, der früher die alte und die neue Hauptstadt Japans miteinander verbunden hat. Einige Streckenteile sind heute grosse Strassen, andere führen durch unscheinbare Wohnquartiere, oder sind nach Erdbeben und Erdrutschen nicht mehr passierbare und wurden durch eine neue Streckenführung abgelöst – oder wurden liebevoll in den alten Zustand versetzt.

Diese Teile sind sehr interessant, da am Wegesrand viele Schilde alles genau erklären, etwa dass die früher hier eingesetzten Träger drei Eigenschaften haben sollten: Stark sein, gute packen können, und eine gute Singstimme haben.

Selten sieht man auf diesen Wegen einzelne Wanderer, eher noch Wandergruppen. Gestern habe ich eine Schlange gesehen, gelb gepunktet sah sie supergiftig aus, wobei die nachfolgende Internetrecherche dann gezeigt hat – und auch etwas enttäuscht –, dass sie harmlos ist.

Diese gepflasterten Wege sind schwierig zu laufen und – gerade gestern, im Nieselregen und Herbstnebel – glitschig: ich bin bestimmt fünf Mal ausgerutscht und hingefallen, und am Abend schmerzen die Knie mehr als üblich.

Am Anfang und Ende durfte ich dann wieder auf meinen Lieblingswegen laufen, durch Dörfer und Städte, an Werkstätten vorbei und Gärten und Schulen (drittletztes Bild). Auch einen bekannten Touristenort habe ich passiert, mit heissen Quellen in einem wunderschönen Tal. Heutzutage mit Schnickschnack-Shops, viel Verkehr und fröhlichen Touristen aus aller Welt. Interessanterweise gefielen mir die anderen Orte auf dem Weg noch besser als dieser. Oder wie Inoue Yasufumi (auch ihm ist ein Schild am Wegesrand gewidmet) hier gedichtet hat: «Pflaumenbäume blühen an neuen Zweigen.»

Bilderchen

Hier ein paar Handyfotos: