Ich bin heute in Ise. Es hat hier viele Touristen, fast nur Japaner. Überraschenderweise wird dieser Ort von vielen Reiseführern nur beiläufig erwähnt, ich habe dazu eine Theorie. Der Leser urteile selbst:
Ise schreibt sich 伊勢, und bedeutet „diese/seine Kraft“. Die Stadt heisst erst seit 60 Jahren auch so, früher war es der Name des ganzen Gebietes. Bereits seit über 1500 Jahren gibt es Wallfahrten hierher, es ist der heiligsten Ort des Shintoismus, von Japan. Ise hat über hundert Schreine, sie sind um zwei Hauptschreine und deren herrlichen Parks gruppiert: um den Inneren Schrein (内宮 Naikū, hier ist die Sonnengöttin zuhause, die Begründerin der japanischen Kaiserfamilie) und den sechs Kilometer davon entfernten Äusseren Schrein (外宮 Gekū, hier lebt die Reisgöttin). Beide Parks sind sehr ähnlich aufgebaut: Man betritt sie über eine Brücke, nach der rituellen Handwaschung gelangt man in einen weitläufigen Wald, mit gewaltigen, alten Bäumen, hier befinden sich auch die Schreine. Vor beiden Parks hat es Restaurants, berühmten für ihre Nudeln.
Neben einigen Schreinen, etwa den beiden grossen, steht ein leerer Platz: Der Schrein wird eben da alle 20 Jahre neu gebaut, dann wird der „alte“ entfernt. Dies bereits seit 1300 Jahren, nur unterbrochen durch den 130-jährigen Bürgerkrieg, aktuell steht der 62. Neubau. Das Holz für die neuen Schreine kommt aus ganz Japan und wird zeremoniell nach Ise gebracht.
Die beiden Hauptschreine von Ise sind irrwitzig heilig: ich denke, es sind der einzigen Orte in Japan, an denen man nicht fotografieren darf. In einem dieser Schreine wird vielleicht eine der kaiserlichen Insignien aufbewahrt, ein achteckiger Spiegel. Sicher ist man nicht, nur der Kaiser darf den Spiegel sehen…
In den beiden Parks ist es trotz der vielen Besucher ruhig; alle Japaner verbeugen sich beim Passieren der grossen Torii (die hier nicht rot sind); viele sind schwarz, oder sehr feierlich angezogen. Zwei Touristen habe ich heute gesehen, mit Flipflops und grossen, farbigen Strohhüten; sie haben etwas verunsichert und verloren ausgesehen…