Ich war die letzten Tage in dem kleinen Städtchen Tomioka, im Gebiet der dreifachen Katastrophe von 2011, mit Erdbeben, Tsunami und dem Reaktorunfall.
Die Stadt wurde 2017 wieder zugänglich gemacht, bis da wurde alles aufgeräumt, entweder weil es nach dem Erdbeben und Tsunami zerstört war oder dann verstrahlt. Einzig ein Gebiet, das als Lagerstätte genutzt wird, ist noch gesperrt. Die Wiederansiedlung der Einwohner scheint ein langer Prozess zu sein, stolz zählt die Webseite des Ortes jede einzelne Seele, aktuell sind es 11’160. Fast jedes Haus hier ist neu, auch der Bahnhof, das Hotel. Schön, funktional gebaut, wie man es von Japan kennt, etwas verstreut, mit Lücken dazwischen, der eine oder andere Garten kommt bestimmt noch. Die Menschen sammeln sich um ein kleines Einkaufszentrum, mit einem Restaurant und es hat auch eine Schule, ein Gemeindezentrum mit Spielplatz (auch innen). Überall sind Geigerzähler, die Strahlendosis ist normal, wie bei uns.
Alles neu.
Auch der Bahnhof ist neu.
Die Strommasten stehen noch...
Das lokale Museum ist wunderschön, beginnt mit der langen Geschichte der Region, zeigt den Aufstieg und dann die schlimmen letzten Jahre. Mit einigen Leuten hier konnte ich sprechen, alle sehr freundlich, positiv, man strengt sich an, von Defätismus keine Spur. Ich bin tief beeindruckt.
Die Situation ein halbes Jahr nach dem Beben, etwa von meinem Hotelzimmer aus fotografiert.
Vermisste Haustiere wurden vermittelt.
Tomioka wird nicht auf(ge)geben!
So sah es vorher aus.
Ich bin dann weitergelaufen, durch ein Gebiet, das erst letztes Jahr wieder freigegeben wurde, berühmt für seine wunderschöne Allee von Kirschbäumen. Alles hier ist aufgeräumt, die Dekontaminierung abgeschlossen, aber Menschen sind selten, keine Schule, kaum Geschäfte (die aber sehr schön), es ist sehr still hier. Wohl hat es einige Häuser, meist auch neue, aber nur teilweise bewohnt: vielleicht noch nicht? oder schon wieder nicht? Daneben grosse Kiesflächen, Mahnmale der abgetragenen Häuser, auch Reisfelder, auch Brachland. Dreizehn Jahre sind eine lange Zeit.
Ich bin dann weitergelaufen, bis an die «Rückkehr-ist-schwierig-Zone», mit einem Schild:
Ab hier ist der Verkehr eingeschränkt
Wegen Rückkehr-ist-schwierig-Zone («Rückkehr» im Sinne von «Nach Hause zurückkommen»)
Straße gesperrt
Lokales Hauptquartier für nukleare Notfallhilfe
Stadt Okuma
Hier geht es nicht weiter.
Die Situation heute.
Beim Kreuzchen ist mein Hotel, blau der Weg.
An zwei Stellen ging es nicht weiter. Es gibt wohl eine Schnellstrasse, die quer durch diese Zone führt, die war aber nicht gut möglich zu laufen. Dann, an einer dritten Stelle, etwas im Westen, konnte ich bis zu einem Bahnhof laufen, der gerade an der Grenze zwischen der kürzlich freigegebenen und aktuell aufzuräumenden Zone liegt.
Auch hier breite, neue Strassen durch einsames Land, viel Kiesplätze und neue Häuser; auch verfallene, aber auch nicht mehr, als im restlichen Japan. Beim neuen Bahnhof dann ein anderes, hoffnungsvolles Bild: auf der einen Seite wird noch gearbeitet, auf der anderen steht bereits ein kleines elegantes Einkaufszentrum, mit viel Grün, ein Plakat zeigt stolz die grossen und kleinen Attraktionen der Region, auch ein Maskottchen, ein Bär, wartet schon geduldig.
An dem Tag wurde nicht gearbeitet: es war Feiertag in Japan, "Kindertag".
Hier konnte ich sehr lange stehen und fotografieren.
Was für ein wunderschöner Ort! Was hier wohl mal stand? Ein Bauernhof? ein Schrein?
Japan!
Andere Gebiete, Wald, Bergland, kleine Weiler werden – auch wenn das nie jemand zugeben würde – wohl aufgegeben. Traurig, aber auch nachvollziehbar, wenn man sieht, mit welchem unglaublichen Aufwand die bisherigen 19 Quadratkilometer gereinigt wurden – und nach der langen Zeit auch immer weniger Menschen ihre Heimat vermissen werden. Es ist zum Weinen.