Zwischendurch

Heute hat mich meine liebe Frau begleitet. Begonnen hat die Etappe im Norden, es ging über den Berg Pompon (der heisst wirklich so) mit fast 700 Metern Höhe, dann weiter in die Stadt (die, wie überall, ganz plötzlich beginnt, sobald es flach wird). Und am Ende dem Fluss entlang. Wir hatten 8 Stunden, für etwa 25 Kilometer. Liebe Frau: Respekt!

Das heutige Etappenziel (letztes Bild), liegt genau zwischen Ōsaka und Kyōto, ist von beiden Städten rund 20 Kilometern entfernt. Allerdings ist das ganze Gebiet eine grosse Stadt, es leben hier 16 Millionen Menschen, auf einer Fläche etwa so gross wie der Kanton Bern.

Ōsaka war schon immer das Handelszentrum Japans, hier war der Reishandel zuhause, entstanden die ersten Banken. 京都, Kyōto war über 1000 Jahre der Wohnort des Kaisers und rund 500 Jahre davon auch Hauptstadt. Beide Zeichen 京 und 都 bedeuten übrigens dasselbe: Hauptstadt! da wollte jemand ganz sicher gehen…

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Zickzack

Gestern und heute musste ich bestimmt sechs Mal einen Umweg laufen: mal war die Strasse nicht einfach zu laufen, oder dann ganz gesperrt, oder da war früher bestimmt mal ein Strasse, jetzt aber ein Golfplatz. Das sieht dann etwa so aus:

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Trotz Umwegen war es heute ein kurzer, herrlicher Spaziergang, 17 Kilometer und einige Höhenmeter, bei schönstem Wetter!

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Trivia

Irgendwo, einsam, in einer grossen Waldlichtung, sehe ich heute eine Kirche. Denke erst, das sei eine der üblichen Heiratskirchen, die man hier und da sieht, schön, ohne kirchlichen Bezug. Google erklärt mir dann aber geduldig, dass sei das Ausbildungszentrum einer Christlichen-Israelischen Sekte, gegründet von einem Japaner. Nur rund 1% der Japaner sind Christen, allerdings hängen an vielen Häusern Bibelsprüche, ich sehe sie jeden Tag. Immer sind es ähnliche Schilder: weisse und gelbe Schrift auf schwarzem Grund, aufgehängt von einer unabhängigen Organisation.

Und: Habe heute zum ersten Mal Affen gesehen! Drei Stück, haben listig einen Gemüsegarten ausgeraubt. Affen leben fast überall in Japan, rund 160’000 sind es.

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Splitter

Eine Zugfahrt, der malerischen Küste entlang: Neben mir ein Mann, auf dem Schoss ein dickes Buch, mit allen Zugfahrplänen Japans; ganz vertieft, in Abfahrtzeiten und Routen, sieht kein einziges Mal aus dem Fenster.

Aufstieg auf einen Berg. Mutter und kleines Kind, langsam, Stufe um Stufe. Sie fragt dann und wann, freundlich „Geht es?“ Es antwortet jedes Mal, weinend „Es geht nicht!“

Putzfrau, in einem kleinen Hotel, ältere Frau; spricht perfekt englisch.

Kurzsichtige Kellnerin, erster Arbeitstag, versteht mich nicht, sieht auch nicht auf welches Menü ich zeige, bringt anschliessend alles mögliche. Mann am Nachbartisch, lotst alles zu sich: „Ich habe es gerne.“

Meine liebe Frau, am Bahnhof, angesprochenen von einem heiteren Mann, am Nachmittag. Nachher zu mir „Jetzt schon betrunken?“

Der Autor dieser Zeilen, sucht mit dem Handy lange eine Buchhandlung in der Nähe, flucht und schimpft; steht die ganze Zeit davor.

Nach Süden

Ich laufe jetzt Richtung Süden, versuche auf die andere Seite Japans zu kommen. Hier noch mehr als an der Küste fällt auf: Japan ist entweder flach oder steil. Der Talboden wird intensiv genutzt, mit bewässerten Reisfeldern, Häusern, Gärten, Fabriken, Strassen – bis ganz an den Rand. Die Hügel und Berge hingegen sind sehr steil, und fast ohne Ausnahme dicht bewaldet und unbewohnt.

Gestern war ich in einem kleinen Supermarkt, sehe dort einen Stand mit Schweizer Produkten, herrlich drapiert mit den obligaten Zettelchen. War überrascht, auch über die Produkte.

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Hoch und runter

Es gibt hier meist nur zwei Strassen von West nach Ost: eine neue, stark befahrene, mit vielen Tunnels; und die alte Küstenstrasse, auf der ich die letzten zwei Tage gelaufen bin. Sie führt zu jedem kleinen Fischerdorf, geht hoch und runter. Man sieht es gut am Streckenprofil der heutigen Etappe – und spürt es in den Beinen: Ich war nach nicht mal 25 Kilometer, für die ich über 6 Stunden benötigt habe, fix und fertig. Zum Glück „musste“ ich dann den Zug nehmen, da es ab da nur noch die eine Schnellstrasse gab.

Im heutigen Ryokan hat man sich viel Mühe gegeben: etwa alle Zettelchen im Zimmer durch deren englische Ausgabe ersetzt. Und meinen Namen in japanischen Schriftzeichen an die Türe geschrieben. Mein Name! Ha, in jedem Hotel ein Quell der Freude: Man schreibt ihn hier Kurisu-chan. Die Endung -chan würde man eher bei einem jungen Mädchen oder einer süssen Katze erwarten, es ist die Verniedlichungsform. Nun stelle man sich vor, alle im Hotel warten gespannt, auf diese Chris-chan; und dann kommt ein Mann, mit wenig & grauen Haaren. Aber klar: Man kennt den Namen wohl, hat ihn nicht zum ersten Mal gesehen.

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profil

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Komödie in 5 Akten

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Das Essen, sieht gut aus, aber etwas roh?

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Hier kommt der Grill; und ich soll kochen? Kann ich das?

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Nein, kann ich nicht: 5 Minuten später, Finger verbrannt, Kellnerin bringt Eiswürfel.

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Noch ein Versuch, Kellnerin schaut mich traurig an.

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Kann man das essen? Man kann!

5 Sterne

Habe die letzten beiden Tage mit meiner lieben Frau und den braven Kindern verbracht. Wir waren hier in Tottori, berühmt für seine Sanddüne, Strände und Krebse. Übernachtet haben wir in einem Hotel, das im Internet von über 1000 Personen im Durchschnitt mit 4.9 von 5 Sternen bewertet wurde. Ich war im Vorfeld gespannt: Japaner sind sehr streng zu ihren Dienstleistern, habe schon einige Mal erlebt, wie bei Dingen, die wir überall sonst auf der Welt & Tag für Tag klaglos erdulden (Speisekarte kommt etwas später, ein Gast, der nach einem kam wird vor einem bedient etc.) Japaner wirklich sauer geworden sind, was doch sehr ungewöhnlich ist: laute Japaner sind mir sonst nie begegnet. Und dass es dann ein Hotel schafft, von 1000 Personen so gut wie jeden glücklich zu machen?

Als ich eingecheckt habe, ist mir aufgefallen, das ich das Hotel kenne, vor genau 10 Jahren (bzw. 9 Jahren und 11 Monaten) waren wir schon hier und es war gut. Und dieses Mal?

Nun, nach dem Aufenthalt kann ich sagen, sie haben die 5 Sternen verdient, wobei bei mir auch weniger dafür gereicht hätte. Der Grund: Das Hotel war zwar in jeder einzelnen Kategorie nicht Weltklasse; Zimmer, Essen, Bad etc. gibt es irgendwo schöner, besser. Aber in Bezug auf Freundlichkeit war es aussergewöhnlich, eine solche erlebt man selbst in Japan selten, und – so denke ich zumindest und attestieren es die vielen Bewertungen – in der konstant hohen Qualität: Alles ist gut (war es zumindest bei uns), und ist es immer. Ich glaube, es war ein berühmter Sushi-Koch, der gesagt hat: „Ich versuche jeden Abend gut zu kochen.“

Ode

Ich bin erst vier Wochen gelaufen, und, wie letztes Mal, ist mein Ego auf die Grösse einer (sehr kleinen) Erbse geschrumpft. Ich meine das positiv! Wenn man so läuft und jeden Tag hundert, tausend Dinge sieht – natürlich die Natur, mit ihrer kühlen, rohen Schönheit – und den eigene Körper fühlt, wie er sich müht und schmerzt – und dann Häuser, Geschäfte, Fabriken, Autos: jedes für sich ein Wunder, zusammengesetzt aus tausenden Teilchen – und kleine Wege und gewaltige Strassen, Brücken, Tunnels, Schilder, ein Gewirr von Ampeln und Strommasten. Neue und alte Bahnhöfe mit ihrer Geschichte, Schulen, Krankenhäuser. Verlassene Häuser, voller Schutt und Vergessenheit – Fischer, Lastwagenfahrer, Krankenpfleger mit ihren kleinen Autos, jeden Morgen und Abend unterwegs, Busse und winzige Haltestellen, an jedem noch so kleinen Flecken, mit einem minutiösem Fahrplan, einem Stuhl zum Sitzen und manchmal einer Hütte – und die Reisfelder, tausende Gärten, gepflegt, mit Gemüse, Blumentöpfe vor jedem Haus – die Häuser! Jedes einzelne, mit Krimskrams gefüllt, draussen Kleider zum Trocken aufgehängt, laute Kinder, die von der Schule kommen, Eltern die sie begrüssen, Grosseltern die auf dem Feld arbeiten. Teenager, die scheu auf ihr Handy starren, oder zusammen lachen. Mädchen und Jungen im Kindergarten, wie sie barfuss in Pfützen springen und kreischen – Und Innen: Kneipen, der Chef betrunken, nach Essen und Trinken rufend, der Gestank und Rauch, das so gute Essen, die Hotels mit duzenden Zettel im Lift, mit herzlichen Comics, alles erklärend – überhaupt: ein Dach über dem Kopf, ein Bett, ein heisses Bad, auch Internet.

Wenn man das Tag für Tag, stundenlang sieht, bekommt man einen so gewaltigen Respekt, mir geht es zumindest so, vor den Menschen. Vor jedem einzelnen, und noch viel mehr vor der Gemeinschaft. Bestimmt übersehe ich vieles – hoffentlich nicht das Schöne, das Gute?

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Viel Verkehr, und ein Trottoir